Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen


2014 war das Jahr der Susann Maria Hempel – zumindest, was ihren Film „Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen“ angeht. Er räumte unter anderem beim Deutschen Kurzfilmpreis 2014 als Bester Experimentalfilm ab, erhielt den Jurypreis des KurzFilmFestival Hamburg 2014, den Preis für den besten Beitrag des Deutschen Wettbewerbs auf den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen 2014 und gewann den Goldenen Reiter auf dem Filmfest Dresden.

Nun kann man den Film am 21. Dezember – dem kürzesten Tag des Jahres und dem deshalb dann stattfindenden Kurzfilmtag – im Programm der „Emerging Artists II – Contemporary Experimental Films and Video Art from Germany“ sehen. Die Compilation wurde zusammengestellt von Giovanna Thiery (Stuttgart Filmwinter), Maike Mia Höhne (Berlinale Shorts), Alfred Rotert (European Media Art Festival), Carsten Spicher (International Short Film Festival Oberhausen) und Gerhard Wissner (Kassel Dokfest) und kann von Veranstaltern und Kinos für diesen Tag gebucht werden. Die weiteren Filme sind „Stick It“ von Stefan Ramírez Pérez, „Flotsam“ von Cylixe, „Mustang Jeans“ von Marko Schiefelbein, „Reign of Silence“ von Lukas Marxt, „My Throat, My Air“ von Loretta Fahrenholz und “Hypozentrum“ von Xenia Lesniewski.

Alle Werke sind sehr unterschiedlich in ihren experimentellen Ansätzen – so besticht „Stick It“ durch seinen Farb-, Schnitt- und Toneinsatz, während „Flotsam“ fast enigmatisch daher kommt und von einer Begegnung einer jungen Reisenden mit einem Philosophen in New York erzählt, während gleichzeitig immer wieder Teile aus YouTube-Tutorials eingebaut sind. „Reign of Silence“ dagegen beeindruckt durch die statische Kameraeinstellung, in der ein Boot ein Wasserkunstwerk herstellt – vor einerm atemberaubenden und scheinbar ebenso leblos wie statischen Hintergrund eines Gletschers.

Susann Maria Hempels Beitrag „Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen“ fällt dennoch auch in dieser Reihe hervorragender Kurzfilmarbeiten hervor. Ihr, wie sie es nennt, „Andachtsbuch“ hat sie auf der Grundlage von Interviews gestaltet. Interviewpartner war bzw. ist ein EU-Rentner (Diese Erwerbsunfähigkeitsrente können gesetzlich rentenversicherte Personen erhalten, „wenn ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr für eine normale Erwerbstätigkeit ausreicht.“ Vgl. http://www.eurente.org/) aus Ostthüringen. Es ist eine Passionsgeschichte, eine harte, traurige und sehr persönliche. 1989 erlitt der Interviewpartner Susann Maria Hempels einen Gedächtnisverlust, während er in der DDR inhaftiert war und nicht nur dort, sondern auch danach viele ungute Dinge erleben musste.

Der Film wirft den Zuschauer aus der Bahn. Sehr bruchstückhaft und enigmatisch montiert, erkennt man nicht gleich, worum es geht oder was geschehen ist. Nach mehrmaligem Sehen erst setzen sich Teile zusammen und lassen langsam ein sehr trauriges und durchaus desaströses Bild erkennen. Eine Passionsgeschichte. Aus dem Off hören wir Hempels Stimme, wie sie in wunderbarem thüringisch den Part ihres Interviewpartners übernimmt, um ihm vielleicht Privatsphäre zu geben. Durchdringend erzählt er/sie, was ihm widerfahren ist. Bebildert oder besser gesagt ausgestattet und animiert haben Hempel und Philipp Herlt die tragische Geschichte von Gewalt, Übel und Unglück mit Kinderspielzeug, mit Fliegen, mit dem Thüringer Wald erstellt aus Bauteilen des Eisenbahnmodellbaus. Dies alles bewegt sich im Stop-Motion-Verfahren, zeigt erschütternde Bilder des Schreckens und des Traumas. Im Grunde handelt es sich um ein akstraktes, bewegtes Tableau – so widersinnig das klingen mag. Der Erzähler wirkt hierbei erschreckend gutmütig und so verzweifelt er hier und da klingt, so positiv mutet er dazwischen immer wieder an. Susann Maria Hempel hat mit ihrem Film ein kathartisches Werk für den Erzähler wie für sich selbst erschaffen. Eine Katharsis, die schmerzt und deren kunstvolle Darstellung gleichzeitig überwältigt.

Susann Maria Hempel – Regie, Drehbuch, Produktion, Musik und Schnitt, Ausstattung, Animation

Philipp Herlt – Ausstattung, Animation

Berta Valin Escofet – Kamera

Henning Kunze – Stimme

Deutschland, 2014

18 Min

 

 

15. Dezember 2015, Jennifer Borrmann

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