Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich


Der aussichtslose Kampf gegen das eigene Scheitern

Wie eine Selbstverständlichkeit klingt der Titel für einen Durchschnittsverbraucher, wie ein Schrei nach Freiheit für alle Insassen des hier gezeigten rumänischen Jugendgefängnisses. Silviu heißt der junge Mann im Mittelpunkt dieses Film, sein Körper ist durchtrainiert, sein Haar kurzgeschoren und seine Situation erscheint verfahren: zwar muss er von seinen fünf Jahren im Gefängnis nur noch zwei Wochen absitzen, doch dann taucht plötzlich seine verschollen geglaubte Mutter auf und will seinen jüngeren Bruder mit nach Italien nehmen. Das soll in einer Woche geschehen und Silviu muss nun kämpfen: gegen die Versuche der Mutter, ihm seinen Bruder zu nehmen und gegen die latente Aggression im Gefängnis, die, sollte auch Silviu ausfällig werden, eine Verlängerung seiner Haftstrafe bedeuten würde. Als sich seine Anspannung in einem tätlichen Angriff gegen einen Sozialarbeiter entlädt dreht Silviu schließlich durch, schlägt einen Wachmann zusammen und entführt die junge Praktikantin Ana, in die er sich verliebt hat. In einem gestohlenen Auto fahren beide einem ungewissen Schicksal entgegen.

Geschätzte 500 000 rumänische Kinder sind Migrationswaisen, deren Eltern für bessere Arbeitsbedingungen hauptsächlich nach Italien und Spanien ausgewandert sind und ihre Kinder zuhause zurückgelassen haben. Ein Phänomen, das in Rumänien das Wort „Eurogeneration allein gelassen“ trägt. Mit einem Film ein aktuelles gesellschaftliches Problem porträtieren – das kann auch schief gehen. Es ist die Leistung des Laiendarstellers Gheorge Pistereanu, die diesen Film zu einem intensiven Sozialdrama macht. Ob beim morgendlichen Training, beim Streit mit anderen Häftlingen, beim Besuch des Bruders und der Mutter oder schließlich beim darauffolgenden Gewaltausbruch: Pistereanu verschmilzt mit seiner Rolle und spielt Silviu als Menschen, der sich mit aller Gewalt gegen sein Scheitern und gegen eine feindlich erscheinende Außenwelt stemmt und sich schließlich in einer aussichtslosen Situation wiederfindet. Dass Silviu diese Situation selbst durch unkontrollierte Gewalt verschuldet hat, ist ebenso klar wie die Tatsache, dass ihm tieftraurige Begleitumstände alle Möglichkeiten, die Kontrolle zu behalten, schrittweise genommen haben. Der Film stellt zu Schuldfragen zwar keine Wertungen auf, man kann sich ihnen als Zuschauer aber schwer entziehen.

Der Film ist mit Handkamera gedreht, oft sieht man Silviu von hinten, beim Gehen oder beim Schauen durch den Gefängniszaun, und nimmt seine Perspektive ein. Auf Musik verzichtet der Regisseur Florin Serban, dessen erster Spielfilm dies ist, fast völlig. Und irgendwie erinnert man sich wieder an einen anderen eindrucksvollen rumänischen Film: Vier Monate, drei Wochen, zwei Tage. Der gewann vor drei Jahren die Goldene Palme in Cannes. Und wie beide Filme eigentlich nur ein paar Tage behandeln, gehen sie doch beide weit darüber hinaus: Während 4 Monate, drei Wochen, zwei Tage auf eindrückliche Weise den Machtmissbrauch in einer totalitären Gesellschaft darstellte, führt uns „If I want to whistle, I whistle“ vor Augen, welche Auswirkungen die Hoffnung auf schnelles Geld und Anerkennung in einer kapitalistischen Welt haben können.

Text: Martin Koch, Henriette Walz, 19.02.2010Berlinale’10