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Zusammenfassung:
Ein Homosexueller befindet sich mit seinem todkranken Freund auf der Reise nach Italien. Utrecht – Neapel – Rom sind die Stationen.
Kommentar:
“Diese Lecons de tenebres sind möglicherweise ein Film über die Kunst, möglicherweise ein Liebesfilm, ganz bestimmt aber ein Film über die Liebe zur Kunst.” (Vincent Dieutre)
Zu Beginn des Films begleiten wir die beiden in ihrem Auto. Es ist Nacht. Lichter spiegeln sich in der regennassen Straße, der Scheibenwischer kommt nicht zur Ruhe. Minutenlang. Die Bilder, eine Stimme aus dem Off, die uns etwas über die Liebesgeschichte der beiden Männer erzählt, die ‘Musik’ des Scheibenwischers und des dahinrollenden Wagens formen sich zu einer Collage von traurig-melancholischer Schönheit. Diese Szene hat etwas traumhaftes und zugleich reales; wie es sich erleben lässt, wenn man als Beifahrer bei einer solchen Fahrt die Atmosphäre auf sich wirken lässt und langsam ins Träumen gerät. “Monatelang haben wir zwischen Holland und Italien unzusammenhängende Bruchstücke eingesammelt: sinnliche Super8-Aufnahmen, weite Landschaften in 35mm, Malerei im Dämmerlicht, Interviews, Töne, Texte, Musik. Alles, was in meinem Leben als Filmemacher, als Homosexueller, als Kunstliebhaber geschah, hat sich in das Filmprojekt eingefügt”. (Vincent Dieutre) Über 52 Stunden Filmmaterial waren auf diese Weise zusammengekommen, die schließlich auf 77 Minuten geschnitten wurden. Zu einer wunderbaren filmischen Collage, einem sinnlichen Film, in dem die Elemente verschiedener Künste wie Malerei, Musik oder Architektur miteinander verschmelzen. “In Rome desolee hatte ich die Orte gefilmt und die Körper beschrieben. Diesmal wollte ich meinen Bildern Leben einhauchen… Am Anfang stand ein Titel… Die Lektionen der Finsternis sind nächtliche Trauermetten, deren musikalische Aufnahmen ich sammle (Couperin, Charpentier, Corette, Gilles …). Dazu kamen die Gemälde der Finsternis, die Caravaggio-Schule des frühen siebzehnten Jahrhunderts, deren Erinnerung mich seit meiner Zeit in Rom verfolgen.” Quasi als Ruhepunkt sehen wir immer wieder Bilder von Caravaggio. Die Kamera ruht und lässt uns das Gemälde betrachten, während die Zeit still zu stehen scheint. Es ist eine wunderbare Ruhe, mit der uns der Filmemacher mit auf seine Reise nimmt. Wir können uns an der Musik ergötzen, die Bilder der Städte in uns aufsaugen, durch die wir gemeinsam reisen … Zugleich lässt uns die Erzählerstimme an der Lebensgeschichte des Hauptdarstellers teilhaben. Er ist auf der Suche nach der verlorenen Schönheit. In Rom, am Platz des Volkes, fallen ihm seine alten Freunde wieder ein. Er nennt sie alle beim Namen (von A bis Z). Die Namen werden immer undeutlicher, werden zu Textfragmenten und schließlich zu Tönen. Währenddessen fährt die Kamera um den Platz herum. Wir können das Geschehen darauf betrachten, oder einfach nur den Platz anschauen, Namen und Töne hören … einfach nur genießen, uns verlieren. Die ‘Lecons de tenebres’ lassen uns die Zeit dafür. Wie in der folgenden Szene: Wir sehen zwei Männer mittleren Alters, Arm in Arm der Aufführung einer italienischen Oper lauschen – SCHNITT – die Kamera steht am Ende einer malerischen Gasse irgendwo mitten in Neapel. Wir sehen eine Frau auf einem Balkon, die wieder in ihre Wohnung zurück geht. Die gesamte Einstellung wirkt wie eine Kulisse in der Oper. Wir sehen Leute aus einem Hauseingang kommen und an der Kamera vorbeilaufen. Die Gasse ist nun leer und die Kamera bleibt noch über eine Minute still stehen. Wir können uns an der Szene erfreuen wie an einem Gemälde – wie an diesem wunderbaren Film.
‘Lecons de tenebre’ (2000) ist nach ‘Rome desolee’ (1995) der zweite Beitrag von Vincent Dieutre, der im ‘Forums des jungen Films’ uraufgeführt wurde.
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Regie: Dieutre, Vincent
Kamera: Boulet, Jean-Marie; Chamaillard, Benoit
Schnitt: Doublet, Ariane
Darsteller: Burzynski, Andrzej; Geiger, Hubert; Dieutre, Vincent
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Text: Robert Meßner (2002)