Kolka Cool


Kolka Cool (Lettland 2011, 97 min)

 

„Würdest Du mich heiraten?“ – „Würdest Du für mich sterben?“ – „Bin ich Romeo, oder was?!“ Andzha (Artuss Kaimins) sitzt auf einer Gartenbank im Hintergrund, Simona (Iveta Pole), seine Freundin, im Close-Up direkt vor der Kamera. Alles in dieser ersten Szene zeigt deutlich, wie die hierarchischen Strukturen in dieser Beziehung liegen: von der verbalen Kommunikation über die mise en scéne bis hin zu Mimik und Gestik der beiden Protagonisten. Andzha ist der Passive, lässt sich treiben, reagiert mehr als er agiert. Simona ist wütender, lauter, aktiver – und doch … irgendwie herrscht in diesem bitteren, melancholischen und witzigen Film Monotonie, Langeweile und Trägheit über alles.

In seiner wunderbaren schwarz-weiß-Ästhetik erinnert das Paar nicht nur einmal im filmischen Zitat an Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in „À bout de souffle“ von Jean-Luc Godard. So revolutionär mit Jump-Cuts und asynchronen Schuss-Gegenschuss-Verfahren der Nouvelle Vague in den 1960ern die konventionellen Filmregeln gebrochen wurden, wird in Juris Poškus’ Film revolutionär … nichts dergleichen gemacht. Der Film brilliert in seiner Hymne an die inhaltliche und ästhetische Langeweile und Monotonie.

Gleichzeitig ist er so unkonventionell in seinem Portrait einer Gruppe von Mittzwanzigern in dem winzigen Fischerdorf Kolka an der lettischen Ostseeküste. Andzha und Simone sind nur ein Teil der arbeitslosen, von alles übertrumpfender Lustlosigkeit erfüllten Truppe. Sie rauchen, trinken, lassen geschehen und sich treiben, warten bis andere tun, wozu sie selbst sich nicht aufraffen würden, sind genervt, pöbeln und feiern.

Neues geschieht erst, als Andzhas älterer Bruder Guido (Andris Keishs), von dem die Familie schon seit einem Jahr nichts mehr gehört hatte, von der See zurückkehrt. Er muss erkennen, dass seine ehemalige Freundin von einem anderen schwanger ist, doch scheint er durch diese Nachricht nicht nur nicht geschockt oder verzweifelt zu sein, sondern zieht obendrein gelangweilt mit der Sektflasche durch die leeren Straßen Kolkas und lädt zur Poolparty im örtlichen Schwimmbad ein. Dabei verkörpert er die perfekte Gleichgültigkeit in Feinripp-Unterhemd und Jogginghose.

Immer wieder setzt Regisseur und Drehbuchautor Juris Poškus absurd-witzige Episoden und Wortgefechte in die Alltagsgeschichte der Twens. Am Ende dieses Ausnahmefilms hat sich gar nicht so viel verändert und doch hat man als Zuschauer die rund 100 Minuten im Kino genossen, wie schon lange nicht mehr. Poškus gründete 1997 gemeinsam mit weiteren Filmschaffenden die „FA Filma“, eine in Riga angesiedelte Firma, die sich auf unkonventionalle Spielfilme spezialisiert hat und aktuelles Auteur-Kino repräsentieren möchte. Mit diesem Film hat er unkonventionell und Auteur jedenfalls auf wunderbar absurde Weise verbunden.

Text: Jennifer Borrmann, 01.12.2012

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