(USA 2012, 123 min)
Rock’n Roll rockt „Rock of Ages“: Preisgekröntes Musical erobert auch filmisch im musikalischen Kampf „Sex, Drugs and Rock’n Roll gegen amerikanisches Biedermeier“ den Kinosaal
Zugegeben: Für den Mittdreißiger bis Vierziger liegt die mutmaßliche Sozialisation, wenn es um Musicals geht, irgendwo zwischen „Gigi“, „Eine Braut für sieben Brüder“, „Mary Poppins“ und „Annie“. Wer jetzt Angst bekommen hat, darf beruhigt sein: Hier geht’s weder um singende Nannies, noch um rothaarige Waisen, sondern um viel 80er Jahre Rock, unerträglich bunte Farben, Dauerwellen, Sex, Drugs and Rock’n Roll, Schulterpolster und Tattoos. Es werden Kopfhörer in angemessenen Größen und neonfarbige Sonnenbrillen getragen – es war die Zeit, in der sie nicht von Hipstern, sondern ziemlich coolen Rockern getragen wurden.
Nun aber zur Geschichte: Zu viel verraten werden soll nicht, dieser Film macht einfach viel mehr Spaß, wenn man sich vom Witz der Charaktere, den visuellen Effekten der 80er Jahre und den vielen Musical-Momenten, in denen langsam und leise einzelne Töne darauf vorbereiten, was gleich beginnt. Der Moment nämlich, in dem jemand auf der Leinwand seinen Thorax mit Luft füllt und voller Inbrunst einen Song schmettert.
Los Angeles, 1987: Ein Mädchen vom Lande mit dem wohlklingenden Namen Sherrie (Julianne Hough), landet mittellos in in Hollywood und wird praktisch auf der Stelle weg im legendären „Bourbon Room“ auf dem Sunset Strip eingestellt. In diesem Rock-Schuppen verliebt sie sich in Drew (Diego Boneta) – Mädchen für alles und insgeheim auch ein talentierter Sänger. So spinnt sich der plot um diese kleine Liebesgeschichte, die aber nicht abschrecken sollte. Denn: die „Bourbon“-Crew Dennis (Alec Baldwin) und Lonny (Russell Brand) sind zwei skurrile Charaktere und Darsteller über deren Anwesenheit und Sprüche man nicht nur einmal lacht. Catherine Zeta-Jones überrascht als Patricia mit zugeknöpfter Bürgermeistergattinnen-Strenge und einer Stimme, die sie ja bereits in „Chicago“ unter Beweis gestellt hatte. Sie hat in diesem Film ein einziges Ziel: Die Schließung des „Bourbon Rooms“. Neben ihr sehen wir Paul (Paul Giamatti), der den Kaugummi kauenden und erfolgsüchtigen Musikmanager des zwischen Selbstzweifeln und Über-Ich rangierenden Stacee Jaxx’ (Tom Cruise) darstellt. Letzterer hat hier eine Opening Scene, die ihn als den Sexgott des 80er-Jahre-Rock etabliert: Einige fast unbekleidete Damen räkeln sich in einer riesigen Haremshalle voller Kissen, Pools und dämmrigen Rotlicht auf einem Bett und machen den Blick frei auf den halb entblößten Sänger.
Als Sherrie im „Bourbon Room“ zum ersten Mal Stacey begegnet, bekommt sie nur einen Satz heraus: „When my hamster died, your music really helped me get through it“, um kurz darauf in Ohnmacht zu fallen. Nicht nur solche Sätze, sondern vor allem die Musik geben dem Zuschauer des Musicals keine andere Möglichkeit, sich im Kino einfach zu amüsieren und alle Songtexte mitzusingen. Sicher nicht nur einmal dachten die Kinobesucher während des Films an alte Audiokassetten, die mühselig aus dem Radio aufgenommen wurden, ohne den Moderator mit drauf zu haben. Bands wie Guns’n Roses, die uns hier mittels Tom Cruise wieder mit auf die Reise nach „Paradise City“ nehmen, Bon Jovi, als sie alle noch langes dauergewelltes Haar hatten und in unseren Zimmern an der Wand hingen, Joan Jett, die den Rock’n Roll so sehr liebt, und noch viele andere, schwemmen eine Welle nostalgischer Euphorie in den Kinosaal. Und sicher haben mehr Zuschauer, als es zugeben würden, zu viele Kuschelrocksongs wieder erkannt, die – nicht immer – innerlich selbstverständlich ebenfalls mitgesungen wurden: More than words, I want to know what love is, Every rose has its thorn…
Meine beiden Sitznachbarinnen gaben mir glücklicherweise das Gefühl, mich nicht alleine an solche Dinge zu erinnnern und so amüsierten wir uns köstlich nicht zuletzt über den Music-Battle zwischen Lonny und Patricia. Die Drehbuchautoren, darunter Justin Theroux, der auch schon für die Fatsuit-Rolle von Tom Cruise in „Tropic Thunder“ mitverantwortlich war, haben ein wunderbares Kino-Konzert geschrieben, das sich zwischen kitschiger Lovestory und einer liebevollen Hommage an die netzhemdtragenden Rockmusiker der 80er bewegt. Wenn man sich einfach auf Musik, überraschend unterhaltsame Dialoge und die vor Pyrotechnik strotzenden Konzerte einlässt, wird man singend aus dem Kino tanzen können.
Text: Jennifer Borrmann, 13.06.2012