W. – Ein mißverstandenes Leben


W. (USA 2008, 129 min, 35mm)

 

20. Januar 2009: Die Welt holt tief Luft, Wehmut überall, denn der große Präsident George W. Bush scheidet aus seinem Amt und hinterlässt sein glorreiches Erbe einem unberechenbaren Newcomer namens Obama, den noch vor vier Jahren niemand außerhalb von Chicago kannte. Doch nicht traurig sein: für alle, die ihn nicht missen mögen, gibt es jetzt den Bush-Film von Oliver Stone: Josh Brolin ist W.

Und ganz ohne Ironie: Stones Film wird viele Erwartungen enttäuschen: sowohl die derer, welche eine radikale Abrechnung des Hollywood-Linken Stone mit dem laut Umfrage zweitschlechtesten Präsidenten aller Zeiten (nur ex-Bürgerkriegs-General Grant war hier schlimmer) erwarten, als auch die derer, welche glauben, ein weichgespültes Standard-Biopic á la Hollywood (Modell „Walk the Line“) vorgesetzt zu bekommen. Stattdessen porträtiert Stone die wichtigsten Stationen in Bushs persönlicher Entwicklung: vom versoffenen Party-Cowboy zum rasanten Aufsteiger in der Politik, dazwischen als Christ wiedergeboren und die ganze Zeit im Schatten der Familie. Die Auseinandersetzung mit seinem Vater George H. W. Bush (freudianisch gut: James Cromwell) begleitet ihn über die gesamten 128 Filmminuten. Es geht dabei am Anfang um Verhaftungen wegen Schlägereien oder Alkohol am Steuer und am Ende um die Machtpolitik sowie die Irak-Politik der US-Regierung, aber im Grunde immer um dasselbe: den Versuch eines mißratenen Sohns, den Anforderungen des Vaters gerecht zu werden und den bevorzugten Bruder (Floridas Ex-Gouverneur Jeb Bush) zu übertreffen.

Diese Konstruktion zieht sich durch den Film und erzeugt Schlüsselmomente: wenn etwa George W. nach der Abwahl des Vaters als Präsident fast ausflippt und wütend herausschreit, Daddy wäre wiedergewählt worden, hätte er seinerzeit doch nur die Irak-Invasion richtig durchgezogen. Aus dieser Szene lässt sich schließen, dass die Wurzeln von W.s späteren Politik weit vor den Anschlägen von 9/11 zu finden sind. Solche ganz privaten Eindrücke verbindet Stone intelligent mit der Frage nach den Motiven der US-Regierung für den Angriff: in der entscheidenden Sitzung verteidigt Colin Powell (Jeffrey Wright) zwar die bestehende internationale Lage, doch Dick Cheney (diabolisch: Richard Dreyfuss) dreht den Wind mit einem Vortrag über die irakischen Ölreserven und Donald Rumsfeld (Scott Glenn) betont mit bizarr anmutender Nüchternheit, wie nützlich die Terroranschläge doch für die Interessen der Bush-Administration seien. Und Bush? Er bleibt defensiv, lobt die überwältigende Intelligenz seiner Minister, preist die Sitzung als „die beste bisher“ und bittet Powell, doch bitte die Richtlinien auch vor der UN umzusetzen. Denn für ihn stehen Ölinteressen, die Frage des richtigen Zeitpunkts und auch die Einwände der anderen Staaten im Hintergrund. Wichtig ist grünes Licht für seine Irak-Mission, die er vollenden muss, auch um den Fluch abzuschütteln, den ihm seine Familie aufgebürdet hat.

So gewiss wie die Tatsache, dass ihm das auch nach „Mission accomplished“, dem Fall der Saddam-Statue und der Hinrichtung das irakischen Diktators nicht gelingen kann, ist es, dass Stones Darstellung auf die Kritik stößt: hier würden komplexe und furchtbare weltgeschichtliche Ereignisse mit Hilfe von Hausfrauen-Psychologie erklärt und damit verharmlost. Dies ist nachvollziehbar, greift aber zu kurz: zwar hatte Regisseur Oliver Stone zuletzt mit dem pathetischen Lamento „World Trade Center“ sämtlichen USA-kritischen Biss aus Werken wie „Platoon“, „JFK“ oder „Wall Street“ abgelegt. Jedoch zeigt sich in „W.“, dass Stone diesen auch mit großem Vergnügen wieder aufzugreifen vermag. So geht es zwar vordergründig um einen führungsschwachen US-Präsidenten mit einem Vaterkomplex, hintergründig aber auch darum, welche Strukturen diesen Präsidenten hervorgebracht haben. Als Antwort sieht der Zuschauer machtgierige Minister und Berater, für deren aggressive Strategien der in politischen Inhaltsfragen gerne zu kurz denkende Chef gerade recht kommt, sowie eine von Politik und Macht besessene Familie, deren politische Einzelschicksale nach eigener Ansicht mindestens so wichtig sind wie das Gleichgewicht der Weltpolitik. Der zurückbleibende Gedanke, dass die inneren Probleme dieser Familie die letzten acht Jahre verfehlter US-Politik mitverursacht haben könnten, ist so erschreckend, dass man nur hoffen kann, dass sich das nicht wiederholt.

Obwohl „W“ sich somit bei näherer Betrachtung als bissige Polit-Satire erweist, ist der Film weit davon entfernt, ein Meisterwerk zu sein. Zu eindimensional bleibt die Hauptfigur: der von Stone, Drehbuchautor Weiser und Brolin geschaffene Bush ist ein grundnaiver Springinsfeld, der sich die Welt von einem ausgewählten inneren Kreis erklären lässt und dessen einfache Weltsicht vom Kampf zwischen Gut und Böse durch nichts erschüttert werden kann. Die in Mimik, Gestik und Körpersprache hervorragende Darstellung W.s durch Josh Brolin konzentriert sich auf Bushs hemdsärmelige Abwicklung von Regierungsangelegenheiten, wenn er etwa einen dreiseitigen Bericht eine Sekunde lang überfliegt und dann an seinen Berater Karl Rove (Toby Jones) weitergibt, oder wenn er sich von Dick Cheney gängige „Verhörpraktiken“, wie das von Amnesty International angeprangerte Waterboarding erläutern lässt. „Ist das Folter, Vize?“ „Nein, nein, keine Folter, Mr. President“. Zu wenig nachvollziehbar ist die Auslassung von Ereignissen, die der Hauptfigur eine dunklere Seite geben könnten: als er auf die Bedrohung von New Orleans zu Zeiten des Hurrikans Katrina viel zu spät reagierte, wie er als Gouverneur von Texas das Gnadengesuch einer Todeskandidatin im Fernsehen nachäffte und warum er auch nach eindeutigen Folternachrichten aus den Militärgefängnissen nichts unternahm.

Vielleicht hätten all diese Nuancen einen komplexeren Film notwendig gemacht und somit die Fertigstellung des bisher am schnellsten produzierten Werkes im Stone-Oeuvre verhindert. Für das Zeit-Argument spricht auch die Dramaturgie des Films: hektisch schneidet Stone zwischen den Zeitebenen hin und her, mal ist W. im College, mal Wahlhelfer seines Vaters, mal Präsident und fast nie erzeugt der Sprung von einem Ereignis zum anderen einen Aha-Effekt. Auch die Frage, warum so viele Menschen Bush zweimal (naja, sagen wir mindestens einmal) zum Präsidenten gewählt haben, wird kaum erwähnt und lediglich durch Karl Roves Frage „Mit wem würde Joe der Durchschnittswähler sich hinsetzen und ein Bier trinken?“ angesprochen. Auch hier erschien das Gemisch aus vorhandenen Ressentiments, perfektem Medieneinsatz und Connections bei der Durchsetzung des Wahlergebnisses offenbar zu umfangreich (und zu explosiv?).

Was am Ende bleibt ist ein Film, der trotz der Flut an Dokumentationen über die Bush-Ära einen Wert hat, da er acht verlorene Jahre der amerikanischen Geschichte treffend und unterhaltsam kommentiert. Auch die lustigsten Momente aus der Regierungszeit des 43. Präsidenten, wie die Aussprüche „In der Geschichte werden wir alle tot sein“ und die Frage an einen Journalisten, warum er ihm die Frage nach seinem präsidialen Erbe nicht früher gesendet habe, „so I can prepare for it“, sorgen für reichlich Komik. Dennoch wirft Stone „W.“ weder den Lachern noch den Kritikern zum Fraß vor, vielmehr versucht er auch, sich in den gescheiterten Präsidenten hinein zu versetzen und die Beweggründe für seine Entscheidungen nachzuvollziehen. Stones Kritik richtet sich stärker gegen die Gesellschaft, welche einen solchen Präsidenten zugelassen hat, als gegen die Handlungen dieses Präsidenten selbst.

 

Text: Martin Koch, 20.01.2009

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