Ein einziger Augenblick


Reservation Road (USA 2007, 102 min, 35mm, 1:1.85)

 

Wie geht eine junge Familie damit um, wenn sie einen geliebten Menschen verliert? Ethan Learner (Joaquin Phoenix), seine Frau Grace (Jennifer Connelly) und ihre kleine Tochter Emma verlieren ihren Sohn und Bruder, als er von einem Auto erfasst wird und der Schuldige Fahrerflucht begeht.

Da die Polizei nicht wirklich voran kommt und der väterliche Instinkt ihn selbst zur Klärung antreibt, schaltet Ethan einen Anwalt ein, um ihm zu helfen, den Mörder seines Sohnes zu finden. Der Anwalt ist ein geschiedener Mann, der seinen Sohn lediglich am Wochenende sehen darf, ständig mit seiner Ex-Frau im Clinch steht und alles tun würde, damit er mehr Zeit mit seinem Jungen verbringen darf. Ausgerechnet dieser Anwalt, Dwight Arno (Mark Ruffalo), ist derjenige, der an jenem Abend Fahrerflucht beging.

Der Focus der Erzählung liegt einerseits auf dem Portrait der betroffenen Familie und deren Umgang mit der Tragödie, besonders wie unterschiedlich Vater und Mutter mit dem Verlust umgehen. Dabei schafft es Regisseur Terry George, die Dramatik der Emotionen seiner Protagonisten in ruhigen Bildern sensibel dazustellen.

In einer Einstellung sitzt Grace kathartisch auf dem kalten Fließenboden des Badezimmers und der Zuschauer muss unerträglich lange mit ansehen, wie sie fassungslos ins Leere starrt. Auf der anderen Seite wird aber gerade auch der Täter unerbittlich von der Kamera verfolgt. Häufig in Nahaufnahmen klebt sie sozusagen an ihm, wie das schlechte Gewissen, wie die nagende Erinnerung. Die Gleichzeitigkeit von Trauer und Schuldbewusstsein wird intelligent durch mehrere Matchcuts zwischen Ethan und Dwight hergestellt. Beispielsweise geht Ethan nach dem Unfall mit seiner Familie ins Haus und durch die Haustür, die Tür schließt. Schnitt. In einem Zimmer hinter einer eben geschlossenen Haustür sehen wir nun Dwight seiner Wohnung, ebenfalls nach dem Unfall. Die Parallelisierung zeigt sich auch in den Familienverhältnissen der beiden Seiten, die eng miteinander verwoben sind. Ethan hat sozusagen alles, was Dwight nicht hat und Dwight hat direkt vor Augen, wie es ist, wenn man den eigenen Sohn ganz verliert.

Eine Doppelung des Geschehens offenbart auch der Mikrokosmos im Makrokosmos. Die tragische Handlung spiegelt sich in einer Episode von Dwights Sohn Lucas (Eddie Alderson) wider: An einem Abend erzählt er seinem Vater, dass er für drei Tage von der Schule suspendiert wurde, weil er sich mit einem Klassenkamerad geprügelt hatte. Dieser Schulfreund hatte einen Fehler gemacht und weil er der Lehrerin darüber nicht die Wahrheit gesagt hatte, hatte Josh ihn deshalb feige genannt. Dwight muss sich mit der Geschichte seines Sohnes, der als schlechtes Gewissen und moralische Instanz für ihn fungiert, seine eigene Geschichte anhören und weiß zugleich nur zu gut, was er eigentlich zu tun hätte und wer hier der Feige ist. Mehrmals wird im Film die Frage gestellt, was das für ein Mensch sein muss, der Fahrerflucht begeht. Dwight wird jedoch nicht als schlechter Mensch dargestellt, vielmehr als Pechvogel, den sehr wohl mehr als das schlechte Gewissen plagt, da er – und das beschönigt der Film auch nicht – nicht nur einen Unfall, sondern eben auch einenFehler begangen hat. Er leidet, ringt mit sich, versucht zu gestehen, aber immer kommt etwas dazwischen.

Etwas passt jedoch nicht in den Film: Ethan ist Universitätsprofessor und in einem Seminar sprechen die Studenten über unterschiedliche Kulturen und deren Beziehung zum und den Umgang mit dem Tod. Ein ausländischer Student behauptet, dass Amerikaner verweichlicht seien, da man sehr angenehm und wohlhabend, ohne jene Gefahren lebe. In anderen Ländern herrsche vielmehr Gefahr im Alltag. Diese Episode findet sich nicht richtig in die Geschichte ein und ist auch nicht nötig, für den Fortlauf der Handlung. Welche Intention Terry George damit auch immer verfolgt, diese Szene – egal, ob sie auf „Hotel Rwanda“ oder auf Geschehnisse wie Angriffe von Terroristen oder Selbstmordattentäter verweisen sollte –, kann im Kontext des Films nicht weiter entwickelt werden und ist damit erstens viel zu kurz und zweitens fehl am Platz.

Autor und Regisseur Terry George hat in dieser Romanverfilmung von John Burnham Schwartzs Buch “Eine Sekunde nur” wieder einmal bewiesen, dass er ein Talent dafür hat, die Mimik der Darsteller in ruhigen Bildern Dramatik erzählen zu lassen. Darüber hinaus wurden diese Bilder fantastisch aneinandergeschnitten.

 

Text: Jennifer Borrmann, 20.06.2008

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