2012 – Cottbus


22. Filmfestival des Osteuropäischen Films in Cottbus – Kurzfilmwettbewerb

Cottbus, 06.11 – 11.11.2012

In der Kürze liegt die Würze

Eine Gemeinsamkeit der Filme innerhalb des Kurzfilmwettbewerbs des 22. Filmfestivals des Osteuropäischen Films in Cottbus zu finden ist gar nicht so einfach. Das einzig Verbindende ist im Grunde die Länge – oder besser gesagt, die nicht vorhandene Länge, die um genau zu sein, den Filmen keinen Abbruch tut. Im Gegenteil: In der Kürze liegt die Würze, mag man hier sagen. Elf Filme aus acht verschiedenen mittel- und osteuropäischen Ländern wurden in den beiden „Langen Nächten des Kurzen Films“ gezeigt. Das Hauptaugenmerk wurde besonders auf junge Filmemacher gelegt. Die Themen reichten von Kriegs- und Nachkriegsproblemen – wie im Spielfilmwettbewerb – über persönliche und Familiendramen bis hin zu älteren Damen, die versuchen mit ihrer ganz subjektiven Zelebrierung der wöchentlichen Einkaufstour im örtlichen Supermarkt Routine in ihr Leben zu bringen oder die ganz einfach mit ihrer Familie in Kontakt bleiben möchten.

Vielleicht war eine grundlegende Tendenz des diesjährigen Kurzfilmwettbewerbs die Ernsthaftigkeit der Themen. Nur zwei Komödien wurden gezeigt – neben neun sehr ernsten und schwierigen Filmen. „Pielaikot“ („Anprobieren“) von Aleksandrs Rusevics aus Lettland und „Treciadieniais“ („Mittwochs“) von Ieva Javaityté from Lithauen zeigten jeweils auf ganz unterschiedliche Weise Frauen, die ihre Entdeckungen feiern. Erstere arbeitet an einer Bahnhofsstation und findet ihre prefekten Traumschuhe. Obwohl sie weiß, dass sie jemand anderem gehören, schafft sie es auf charmante Weise, sie für sich zu behalten – auch wenn es bedeutet, auf goldenen Highheels im tiefen Schnee zu waten. Letztere gibt sich mit allen Sinnen ihrem Lebensmitteleinkauf hin und es sind besonders Perspektive und die Kameraeinstellungen, die es dem Zuschauer ermöglichen, gemeinsam mit der Dame diesen Mittwoch zu zelebrieren.

Der russische Beitrag „Bratiya“ („Bruderschaft der Männer“) von Dmitriy Dyuzhev nahm den Zuschauer mit in die gewalttätige Energie innerhalb der Familie eines Vaters und seiner beiden Söhne, die nach zwei Jahren immer noch versuchen – jeder auf seine Weise – mit dem Verlust der Mutter fertig zu werden. Ein weiterer Film aus Russland, das offensichtlich (film-)produktivste Land in Osteuropa, „Wohin das Meer fließt“ (Kuda Techet More) von Vitaly Saltykov, gewährte uns einen sehr subjektiven und persönlichen Einblick in die Seele einer jungen Frau, die versucht mit ihrer kleinen Tochter zu leben, die durch eine Vergewaltigung entstand. Was der erste Film durch seine Gewalt und Wut gewinnt, gelingt im zweiten durch die tiefe Ruhe und Stille.

Der Gewinner des Kurzfilmwettbewerbs ist der polnische Beitrag „ Swieto Zmarlych“ („Allerseelen“) von Aleksandra Terpi?ska. An Allerseelen, dem Tag, an dem den Toten gedacht wird, feiert Lena ihren 18. Geburtstag. Mit ihrer Großmutter und ihrem Bruder zusammenlebend, gedenkt sie nicht nur ihrer toten Mutter, sondern auch dem Vater, von dem sie immer dachte, er hätte sie alle verlassen. Der Film ist eine ganz besondere Sicht auf persönlichen Verlust, aber nicht ohne einen positiven Blick in die Zukunft. Ein weiteres Geburtstagskind wurde in „Konur Kuz“ („Altweibersommer“) von Nurlan Abdykadyrov gezeigt. Eine ältere Frau versucht an ihrem Geburtstag ihre Tochter in der Stadt anzurufen. Am Ende werden weder sie noch der Zuschauer die Tochter zu Gesicht bekommen haben. Der Film ist ein intensiver Blick auf den offenslichtlichen Verlust familiäre Bindung und der Beziehungen zwischen den Generationen.

Der Spezialpreis in der Kategorie ging in diesem Jahr an „Zuhause“ („Dom Tsah“) des Russen mit tschetschenischen Wurzeln Ruslan Magomadov, in dem ein einsamer Mann versucht, seinen Alltag in Grozny während und nach dem Krieg zu meistern. Die Kamera begleitet ihn auf der Suche nach Holz, Wasser, Gas, usw. und lässt uns ganz ungeschönt die Abgeschiedenheit der Gegend und die Einsamkeit des Mannes fühlen. Alles in diesem leisen Film schreit nach dem Verlorenen, das nicht mehr zurückgebracht werden kann. Der Regisseur hat selbst in Grozny gelebt, wo das Haus seiner Familie im Ersten Tschetschenienkrieg zerstört wurde. Eine ganz andere Art, mit dem Thema Krieg umzugehen konnte der Zuschauer in „Shkurta“ („Shkurta“) von Arzana Kraja sehen. Wir folgen einem Mann, der im Kosovokrieg versucht Kinder vor dem Tod zu retten, aber scheitert. Von jetzt an schaufelt er Gräber und schreinert Särge für sie. Ein kleines Mädchen begleitet ihn still. In beiden Filmen, schaffen es die Protagonisten nicht, ihren Gefühlen, Gedanken und ihrere Trauer sprachlich Ausdruck zu verleihen.

Der Kurzfilmwettbewerb in diesem Jahr war reich in jeglicher Hinsicht: ästhetisch, inhaltlich und gab uns sichtlich nur einen flüchtigen Blick auf das phantastische filmische Potential aus Mittel- und Osteuropa.

Text: Jennifer Borrmann, 16.11.2012

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