Vom Atmen unter Wasser


(Deutschland 2007, 95 min)

 

Wie unterschiedlich das Niveau des Fernsehprogramms sein kann zeigt „Vom Atmen unter Wasser“ handelt von einer Familie, die den Mord an der Tochter bzw. Schwester beinah ein Jahr nach ihrem Tod immer noch sehr stark beschäftigt. Er hätte durchaus eine Veröffentlichung auf der großen Leinwand verdient.

Simon (Adrian Topol) leidet an einem Minderwertigkeitskomplex, der nicht allein seiner Phantasie geschuldet ist. Seine Eltern Anne (Andrea Sawatzki) und Jo (Thorsten Merten) sind scheinbar immer mit seiner Schwester Sarah beschäftigt. Simons Voice-Over führt uns in die Geschichte ein: Als er noch klein war, hat er sich seine jüngere Schwester geschnappt und zusammen mit ihr in den Bus gesetzt. Was zunächst als nettes kleines Geschwister-Roadtrip-Vergnügen erscheint, verkehrt sich schnell ins Gegenteil, wenn Simon seiner Schwester erzählt, der Bus führe nach Panama zu Janosch, an der nächsten Haltestelle aussteigt und sie beim Abschied noch fotografiert. Resigniert kommentiert die Erzählerstimme, dass er wohl zu lange gewartet hätte, die Schwester loszuwerden. Jetzt sei es zu spät.

Wieder im Jetzt sieht man Simon, der ins Krankenhaus rast, um seine Mutter zu besuchen, die einen Selbstmordversuch verübt hat. Der Vater verlangt vom Sohn ein Urlaubssemester zu nehmen und man ahnt, dass es ihm nicht nur um Anne geht, sondern dass er selbst mit der Aufgabe überfordert wäre.

Ursprung aller Trauer und Wut ist der vor einem Jahr verübte Mord an Sarah. Die Familie scheint zu keiner Kommunikation untereinander fähig zu sein. Anne spricht von einem „Ausrutscher“, als ihr Psychologin sie nach dem Selbstmordversuch fragt. Sie riecht an der Kleidung ihrer Tochter, um wenigstens den Geruch zu bewahren, an die Stimme der geliebten Tochter erinnert sie sich schon kaum noch. Überall hängen Photos an der Wand, alle mit Sarah, keines mit Simon. Obwohl der Täter bereits im Gefängnis sitzt, sucht Anne immer weiter nach einem Schuldigen und folgt rückwärts dem Handlungsstrang ihrer Tochter am Tatabend. Eine Person nach der anderen wird von ihr für Schuldig befunden: vom Ehemann über den Exfreund bis hin zur besten Freundin.

Vater Jo hat für sich indessen die Geschehnisse verarbeitet und verkraftet das künstliche Am-Leben-Halten Sarahs durch Anne nicht mehr. Er verlässt seine Familie. Simon dreht währenddessen mit Anne einen Film, in dem sie von Sarah erzählt und der sich zu einer Art Abschiedstherapie entwickelt.

Was wird im Film von Freiburg gezeigt? Der Selbstmordversuch von Anna endet im Freiburger Uniklinikum. Hier steht sie nachdenklich auf dem Balkon der Frauenklinik, der in den Innenhof in Richtung Ententeich zeigt. Daneben arbeitet Elena (Paula Kalenberg), Sarahs beste Freundin, als Fahrradtaxifahrerin und sitzt gemütlich vor dem Rathaus auf ihrem Gefährt und wartet auf Kundschaft. Damit sieht man sie dann durch die Salzstraße und die Herrenstraße kutschieren – es wird also ein sehr idyllisches Altbau-Feeling vermittelt. Auch die Gerberau und das Krokodil finden ihren Platz. Wo die Kinoszenen gedreht wurden, darf man nur vermuten. Jedenfalls wird dem Zuschauer der Eindruck vermittelt, das Kino befände sich in der Jackson Pollock Bar, wenn Simon und Elena hier nach dem Film herauskommen. Selbstverständlich fehlen auch eindrucksvolle Aussichten vom Feldberg nicht.

Das eindrucksvolle Drehbuch stammt von Lisa-Marie Dickreiter (ihre zweite Zusammenarbeit mit Regisseur Oelsner und ihr insgesamt zweites Drehbuch; studiert hat sie an der Filmakademie Ludwigsburg). Der Film hatte seine Uraufführung in Ludwigshafen beim Festival des Deutschen Films 2008, gewann einen Publikumspreis und erhielt von der Deutschen Film- und Medienbewertung das Prädikat „besonders wertvoll“. Leider hat „Vom Atmen unter Wasser“ trotzdem keinen Verleih gefunden, weshalb er also „nur“ im Fernsehen läuft.

Text: Jennifer Borrmann, 15.11.2010

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