Wir lieben Annette!


Eine Filmkritik von Olivia Wöstehoff.


Geschichten von unglücklichen Liebenden, Entfremdung und Wundern gab es auf den Bühnen dieser Welt bereits. Doch so zart, distanziert und zugleich ergreifend wie in dem bühnenhaften Bild, in den vielen Farben und in dem tragenden Klang von „Annette“ sieht man sie selten. Die Charaktere erzählen uns in dem Eröffnungsfilm der Cannes-Festspiele 2021 des Regisseurs Leos Carax die Geschichte der innigen aber widersprüchlichen Liebe des Komikers Henry, der Opernsängerin Ann, und dem daraus entspringenden Wunderkind Annette.

Einige Tage ist er Kinobesuch nun her, und besonders beschäftigt mich noch das Spiel dieses Films mit seiner eigenen Künstlichkeit und Form. Wir als Voyeuristen der Liebe von Henry und Ann betrachten ihr Leben stückweise aus der Sicht der Öffentlichkeit und damit wird uns der äußerliche Kontrast ihrer Personen vergegenwärtigt. Wir begleiten sie jedoch auch in ihren intimsten Momenten, und erhaschen einen Blick davon, was sie ineinander sehen.

Alle drei Protagonisten haben eine unübersehbare Beziehung mit diesem Begriff der Künstlichkeit. Wenn Ann in der Oper von einer tragischen Liebe singt, werden wir die Ahnung nicht los, dass dies für ihre Zukunft mit Henry steht. Ebenso versucht Henry seinen inneren, dunklen Monolog auf der Bühne als zynische Komik zu verkaufen. Henry zerbricht an der Dynamik zwischen Person und Rolle. Mehrfach wird die vierte Wand durchleuchtet, beispielsweise durch ein direktes Adressieren an uns. Die Künstlichkeit gipfelt methodisch gesehen in dem jede Szene begleitenden Gesang aller Charaktere. Durch diese Verkünstelung der Dialoge entsteht eine Distanzierung zum Geschehen. Das Set Design erzeugt durch die Beleuchtung öfter den Eindruck, dass das Geschehen sich auf einer Bühne abspielt.

In der zweiten Hälfte schient der Film ein wenig zu schwimmen. Als Zuschauer werden wir wie Baby Annette etwas ziellos durch das Geschehen getragen, zumal der Höhepunkt bereits zur Hälfte eintritt. Die letzte Szene hingegen führt einige Perspektiven zusammen, eröffnet zugleich Neue und drückt gekonnt und rührend die Ängste unserer Protagonisten aus. Durch ihren tragischen Abschied befreit Annette sich selbst, und auch uns. So verlassen wir das Kino, auf der Suche nach einem Freund oder Fremden, dem wir hiervon berichten können.

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