4 # Berlinale – Kampf gegen sich selbst – “Boris sans Beatrice” im Berlinale-Wettbewerb


Boris Malinovsky stemmt sich gegen den Sturm. Mit aller Kraft wehrt er sich gegen den Druck, der von dem schwarzen Helikopter ausgeht. Wie ein gefährliches Insekt schwebt dieser bedrohlich vor ihm auf- und ab und starrt ihn mit mächtigen Facettenaugen an.

So sieht sich Boris selbst, so fühlt er sich, der schwerreiche Geschäftsmann im Nobelhemd, dessen hagerer Körper eine heimtückische Aggression ausstrahlt: Als Frontmann, der sich gegen eine drückende Allianz aus aufdringlichen Verkäuferinnen, fehlgeleiteten Lokalpolitikern und der unfähigen Psychiaterin seiner Frau zur Wehr setzen muss. Wer so viel kämpft, wie Boris, der schafft sich nicht viele Freunde, sondern einen Panzer, der zu Überheblichkeit und Arroganz führt – sogar gegenüber den Liebsten, der Ehefrau, der Tochter. Brechen sich dann doch einmal Emotionen Bahn, dann sind sie gewaltig – auf den Sex reduzierte Seitensprünge oder dröhnende Autofahrten auf der Rennstrecke.

Boris’ Frau Beatrice ist depressiv, ganz und gar apathisch. Die ehemalige Ministerin starrt an die Decke und schweigt. Die Medikation hilft, heilt aber nichts.

In diesem Setting entwirft der franko-kanadische Regisseur Denis Côté sein Drama Boris sans Beatrice, das gestern im Wettbewerb Weltpremiere feierte. Es ist eine Geschichte über einen Mann, der lernen muss, sich zu öffnen, bevor ihm der Draht zur Umwelt und dem Leben gänzlich aus den Fingern gleitet.

Die Idee ist nicht neu und erinnert z.B. an den verbitterten Ebenezer Scrooge, der am Weihnachtsabend Besuch vom personifizierten Über-Ich bekommt. Bei Boris sans Beatrice aber ist vor allem die Inszenierung interessant, die mit den Mitteln des Realismus’ und des Metaphorischen jongliert (übrigens im Gegensatz zu dem enttäuschenden Wettbewerbsbeitrag “Midnight Special”).

Eines Tages meldet sich Boris’ moralische Instanz in Form eines unbekannten Briefschreibers, der ihn geheimniskrämerisch zu einem nächtlichen Treffen in den Wald bestellt, eine Einladung, der Boris schon allein aus Neugier nachkommt. Dort stehen sich dann die beiden Figuren gegenüber wie zwei Cowboys vor dem Duell, die Arena in grelles Scheinwerferlicht getaucht, überhell, von der Kamera streng eingerahmt. Hier Boris, dort der merkwürdige Unbekannte im Samtmantel. Wer er ist, bleibt weiter unklar. Ein Engel? Der Teufel? Das Gewissen? Theateresk inszeniert und gespielt ist das eine starke Szene, vielleicht die stärkste des Films. Der Unbekannte lässt den selbstgerechten Businessmann wissen, jener sei mit seinem rücksichtslosen Verhalten schuld an der tiefen Melancholie seiner Frau und es sei höchste Zeit die eigenen Einstellungen zu hinterfragen. Last exit.

Interessiert das so jemanden wie Boris? Jemanden, der glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben, der soziale Politik verachtet, der seine kranke Frau gleich mehrfach betrügt? Côté hält das für realistisch und schickt seine Hauptfigur auf eine spannende Entwicklungsreise. Dramaturgisch ist nicht alles stimmig in Boris sans Beatrice und der Regisseur will am Ende zu viel von seinem Film, zerfasert den Schluss, anstatt den spannenden Schwebezustand konsequent zu Ende zu bringen. In formaler Hinsicht jedoch erinnern die wortkarge Inszenierung und die straff kadrierten Bilder an die Strenge der Berliner Schule, wodurch der mehrfache Bruch des Realistischen eine besondere Qualität bekommt. James Hyndman liefert mit seinem kraftvollen Spiel zudem eine authentische Hauptfigur. Sehenswert.

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