Hieß es schon in vielen Schlagzeilen. Und sie haben Recht! Rolling Stones, Patti Smith, Damon Albarn, Jamie Hewlett, Eugene Hutz, Madonna, … jaja, wenn sich das „who is who“ des Musikbiz ein Stelldichein gibt, dann ist wieder Berlinale…ähm, oder so ähnlich. Landläufig sind Filmfestivals kein Ort, an dem man erfolgreich nach Musikacts sucht, aber auf der 58. Berlinale waren Rock und Pop so stark vertreten, wie bei keinem anderen Filmfestival. Auf Film gepresst beherrschten sie in Form von „Rockumentaries“ die Leinwände. Was tun, wenn einem die Filmstars ausbleiben, wird sich der Kosslick gefragt haben und auf die Antwort gestoßen sein. Musikstars einladen!
Und der Bär rockte schon gleich zur Eröffnung. Denn niemand geringeres als die Rolling Stones – ja, DIE Rolling Stones!!! – schlenderten mit Martin Scorsese am ersten Abend über den roten Teppich, um ihren Konzertfilm „Shine a Light“ vorzustellen. Dementsprechend groß war die Aufmerksamkeit und das Gekreische hinter den Absperrungen. Enttäuscht wurde man nicht, kann doch ein namhafter Regisseur wie Scorsese bei einer so popligen Aufgebe wie einem Konzertmitschnitt nicht viel, pardon, nichts falsch machen. So liefert er uns unter anderem ein paar beeindruckende Großaufnahmen von rockenden Urgesteinen, bei denen man sich überlegt, ob man diese alten, faltigen Gesichter wirklich aus dieser Nähe anschauen will. Mit am unterhaltsamsten nimmt sich die anfängliche Making–Of- Sequenz aus, bei der man sich zuerst nicht sicher ist, ob da wirklich Scorsese im Regiestuhl sitzt und nicht vielleicht doch Woody Allen. Der eine Spaßvogel steht dem anderen in nichts nach. Als z.B. ein Bühnendesigner Scorsese erklärt, dass Mick Jagger Feuer finge, würde er in einer bestimmter Scheinwerfereinstellung länger als 30 Sekunden auf einer Position stehen, grübelt Scorsese kurz und meint trocken „We cannot do that! We cannot burn Mick Jagger!“. Eine weitere schöne Szene ist, wie die Band dem Konzertbesucher Bill Clinton vorgestellt wird und Keith Richards meint: “Hi Clinton, I´m bushed!“ Gerne etwas mehr hätte es auch von den beigemischten Dokuschnipseln sein dürfen. Höchst amüsante Interviewaugenblicke aus ihren Anfangstagen, die unserer Generation nicht nur beweisen, dass die Rolling Stones tatsächlich einmal jung und faltenlos waren, sondern auch einen Mick Jagger zeigen, der behauptet, er möchte das ganze nur noch ein, zwei Jahre machen, bevor er sich musikalisch zur Ruhe setzt. Mittlerweile hoffen die meisten wohl zu sehen, wie eine Legende auf der Bühne stirbt.
Die Geschichte der einzigen Heavy-Metal-Band Iraks erzählt uns die Doku „Heavy Metal in Baghdad“ von Suroosh Alvi und Eddy Moretti. Über drei Jahre lang haben die beiden Reporter des US-Magazins Vice die Band Acrassicauda durch ihr Leben im Kriegszerrüttetem Irak begleitet. Die Antwort auf die Frage, warum jemand so viele Schwierigkeiten auf sich nehmen sollte, wird gleich zu Beginn des Films geliefert: „This is risky. It´s dangerous. People would say it´s really fuckin´ stupid for us to be doing this, but…ehm…you know, Heavy Metal rules!”. Über Songtitel wie „Massacre“, „Beginning of the End“, „The orphan child“ und „Between the Ashes“ wundert sich niemand. Doch es wird auch gezeigt, dass Rock ´n´ Roll in solch einer Hölle nicht nur gefährlich sondern auch lebensrettend sein kann, da es das einzige ist, was manchen noch Freude und Ablenkung bringt. Der Film verzichtet trotz aller Wucht nicht auf eine Portion Humor. So erzählt die Band, dass Heavy Metal unter Saddam kein Problem war, solange dabei auch für den Diktator ein Song heraussprang und die Herren stimmen den auch gleich an.
Das Highlight für Freunde des Punk war „Patti Smith: Dream of Life“. Seit ihrem Comeback-Album „Gone Again“, das 1996 erschien, begleitete Steven Sebring Patti Smith über elf Jahre lang. Nicht nur ein freundschaftliches Verhältnis, sondern auch ein wunderbarer Film gingen aus diesem Projekt hervor. Die mit Fotos, Gemälden, Konzertausschnitten, Interviews und Anekdoten angereicherte Doku zeigt Patti Smith nicht nur in ihrer Rolle als Künstlerin und Legende des Punk, sie gewährt auch Einblicke in all die anderen Facetten ihrer charismatischen Persönlichkeit. Sie selbst begleitet mit einem Off-Kommentar den Film und kommentiert so wundervoll grandiose Szenen wie etwa ihren Besuch bei ihren Eltern, bei dem ihr Vater in einem Roskilde T-Shirt zu sehen ist, oder das Gespräch über „Im-Stehen-“ oder „In-Flaschen-pinkelnde“ Frauen.
Eine weitere „Langzeitstudie“ einer Band liefert Ceri Levi mit „Bananaz“. Fast sieben Jahre begleitete er Damon Albarn (Leadsänger bei Blur und Gorillaz) und Jamie Hewlett (Comickünstler z.B. Tank Girl) und aus ca. 300(!!) Stunden Material schnitt er einen 92 minütigen Film zusammen. Gezeigt werden nicht nur die beiden Briten beim Rumblödeln – was sie scheinbar nie lassen können – sondern auch die Entstehung der Gorillaz von den ersten Skizzen bis zu den Konzerten des zweiten Albums „Demon Days“. Vor allem durch die prolligen Homevideo Sequenzen und einen Running Gag lernt man die beiden Künstler lieben. Während „Shine a Light“ und „Patti Smith“ schon längst zu sehen waren, ist bei „Bananaz“ leider noch immer kein Starttermin bekannt.
Und dann war da noch Madonna. Nein, keine Sorge, ihr schauspielerisches Talent musste niemand ertragen. Diesmal zeigte sie sich nicht vor sondern hinter der Kamera, nämlich in ihrem Regiedebüt „Filth and Wisdom“. Ob sie in den paar Jahren Ehe mit Guy Ritchie auch etwas gelernt hat? Zumindest schnappte sie sich Eugene Hutz, den Leadsänger von Gogol Bordello, als Hauptdarsteller, was ja auch schon mal etwas ist. Und ganz ehrlich, der Film geht als okay durch. Wirklich. Denn wer bei dem Namen Madonna einen total furchtbar schlechten Film erwartet – und das tun wohl die meisten – ist im Nachhinein positiv überrascht und findet den Indiestreifen sogar ganz nett. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Madonna erzählt uns in ihrer Dramödie nichts Neues. Der Film dreht sich schlicht um drei Menschen in London, ihre Träume und die Lügen, die sie leben, wie sie alle über ihren „Filth“ letztlich zum „Wisdom“ gelangen und so schließlich doch noch alles gut wird. Sogar ein bisschen Selbstironie wurde beigemischt, wie etwa die Stripclubszene, in welcher der DJ Madonnas „Erotica“ vom Plattenteller reißt und Britneys „Baby one more time“ auflegt.
Nächstes Jahr dürften wohl weniger Musikstars und Trubel und somit wieder etwas ruhigere Zeiten zur Berlinale einkehren.
Text: Biljana Jakovljevic, 18.05.2008 – Berlinale’08