#15: Die Bären


Jetzt ist also raus, welche Filme welche Preise gewonnen haben und welche leer ausgingen.

Die komplette Übersicht über die Preisträge gibt’s hier. Es wird immer viel diskutiert im Vorfeld unter Journalisten und Zuschauern. Und immerwieder zeigt sich, dass bei allem Können und Wissen der professionellen Journalisten die Wahrnehmung und Rezeption von Filmen letzten Endes doch auch subjektiv geprägt ist. Dementsprechend unterschiedlich fallen die Kritiken aus und dementsprechend kann eben höchstens diskutiert werden. Wirkliche Prognosen sind nicht sinnvoll.

Ganz generell hat die internationale Jury um Wong Kar-Wai sehr gekonnt und diplomatisch entschieden. In den letzten Tagen haben sich drei Filme herauskristallisiert, die sich berechtigte Hoffnungen auf den Goldenen Bären machen konnten. Zum Einen die beiden Filme, in denen jeweils eine starke Frau Ende 50 im Mittelpunkt stand, wenn auch in ganz Unterschiedlichem Kontext. “Gloria“, ein chilenischer Beitrag, und “Child’s Pose” aus Rumänien (sehr treffend hier die Synopse). Als dritter im Bunde gesellte sich gestern noch „Harmony Lessons“ aus Kasachstan hinzu.

Sehr wahrscheinlich war, dass einer der beiden „Frauenfilme“ wohl den Goldenen Bären gewinnt und der andere den Silbernen Bären für die beste Hauptdarstellerin, denn beide Filme sind eindrucksvoll und ziehen dies vor allem aus der Leistung ihren Hauptdarstellerinnen (Stichwort One-Woman-Show). So kam es dann auch: Paulina García gewinnt für ihre Gloria den Hauptdarstellerinnenpreis, die Macher von “Child’s Pose” durften den Goldenen Bären entgegennehmen. Während die meisten Preisträger „I don’t know what to say“ ins Mikro murmelten, um umgehend einen Zettel aus der Jackettasche zu ziehen, auf denen die Namen derer standen, denen nun gedankt werden soll („My lovely friend and director“, „My wife“, etc.), hielt die Produzentin von „Child’s Pose“ eine seltsam unemotionale, fast schon wütende Rede, in der sie unter Anderem denen dankte, die sie in der Vergangenheit kritisiert hätten, denn diese hätten sie nur noch stärker gemacht. Und sie dankte den Frauen vor und hinter der Kamera, den eigentlichen Gewinnern dieser Berlinale. Das kann man in der Tat so und wirklich ironiefrei unterschreiben.

„Harmony Lessons“ zeichnete sich auch vor allem durch seine Bildsprache und –anordnung aus, auffallend war die extrem ruhige und streng symmetrische und von geometrischen Formen wie Fenstern oder Schultafeln eingerahmte Bildgestaltung, die den Film entscheidend mitprägen. Dementsprechend ist der Silberne Bär für herausragende künstlerische Leistungen auch die richtige Auszeichnung.

Viel wurde unter den Zuschauern diskutiert, wie die Jury denn mit Jafar Panahis „Pardé“ umgehen wird. Der Hauptpreis wäre gerechtfertigt gewesen, die Auszeichnung dann allerdings nicht frei von politischen Beweggründen und sie würde somit künstlerisch anspruchsvollere oder andere wertvolle Filme eventuell in den Hintergrund drängen. Eine Nebenkategorie wie z.B. der Alfred-Bauer-Preis zur Eröffnung neuer Perspektiven der Filmkunst würde die Produktionsbedingungen und die Lebenssituation Panahis nicht ernst nehmen. So gab es den Silbernen Bären für das Beste Drehbuch. Das ist eine keineswegs unbedeutende Kategorie und belohnt Panahi und Kamboziya Partovi für die ungewöhnliche und beeindruckende Erzählstruktur. Auch das eine sehr gute Entscheidung.

A propos Alfred-Bauer-Preis. Der ging an „Vic+Flo haben einen Bären gesehen“  (was da schon für Wortspiele gemacht wurden, auch der Regisseur konnte es sich nicht verkneifen, als ihm die Trophäe überreicht wurde). Dieser Film wurde so gespalten aufgenommen, wie kein zweiter im diesjährigen Wettbewerb. Von höhnischem Gelächter bis hin zu überbordender Begeisterung. Ein Kommentar hierzu fällt schwer. Nachdem sich in der Pressevorführung 30 Sekunden nach dem obligatorischen Berlinale-Trailer der Kollege zur Linken in den Schlaf flüchtete und der Kollege eine Reihe weiter hinten im 2-Minuten-Takt nicht nur umständlich mit seiner Regenjacke raschelte, sondern dazu auch noch herzhaft gähnte, spielte der Autor dieser Zeilen seinen einzigen Joker im Wettbewerbsmarathon aus und verließ nach 40 endlos wirkenden Minuten, in denen unter Anderem blaue Kinderplanschbecken durch kanadische Wälder getragen werden, den Kinosaal, nicht wissend, ob er lachen oder weinen soll.

Anyway, bei allem Gemecker und trotz mancher Enttäuschung: Es war natürlich wieder großartig, von 9.00 morgens bis 9.00 abends im Kino zu sitzen, Filme zu sehen, die man sonst nie gesehen hätte, Leute aus aller Welt kennen zu lernen, Matt Damon zu sehen und, und, und. Hat wieder großen Spaß gemacht. Hoffentlich bis zum nächsten Jahr!

NACHTRAG: Beispiel für die typische Berlinale-Berichterstattung gefällig? Hier eine, sagen wir, kritische Würdigung des Wettbewerbs von Jan Schulz-Ojala.

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