Das Forum besticht ja meist durch eine visuell, wie inhaltlich sehr differenzierte Auswahl. Während des letzten Forumstages für die Presse wurde überall gekämpft – mit bösen Geistern, Naturkatastrophen und Lebenspartnern. Auch wenn die üblichen Verdächtigen seit Jahren immer wieder in dieser Sektion zu finden sind, wie James Benning, gibt es zum Glück auch jedes Jahr Filme, die so richtige Festivalfilme sind, die man nur hier sieht, da sie es oft leider nicht in ein Kino schaffen, weil sie keinen Verleih finden oder aus anderen Gründen.
THE BATTLE OF TABATO (Joao Viana, Guinea-Bissau 2013)
Der Film beginnt sehr unfilmisch, doch – da sehr häufig verwendet – schon fast wieder konventionell mit Ton und lässt das bewegte Bild erst nach einigen Minuten die Leinwand erhellen. Wie erfahren von den Mandinka, einer westafrikanischen Ethnie, die auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken kann und vor 4500 Jahren – so die Erzählerstimme – den Ackerbau in Guinea-Bissau erfand. Der Film stellt in seinem Mikrokosmos dar, was mit dem afrikanischen Kontinent in seiner Menschheitsgeschichte geschah: Er erzählt von Krieg, Kindersoldaten, vergossenem Blut, Kolonisation, den Geistern der Vergangenheit (so beispielsweise der “old war spirit” eines der Protagonisten, der mit diesem Geist/der Kriegserfahrung nicht zurecht kommt). Es ist ein sehr unzugänglicher Film für einen sogenannten westlichen Zuschauer, der viele Anspielungen nicht versteht und so wirkt der Film leider fremd und unverständlich – die Bilder lassen vermuten, dass mehr dahinter steckt, dass in jeder Szene auf einen bestimmten Aspekt gedeutet wird, als man erkennen kann und weiß. Die Inszenierung ist theatralisch, Mimik und Gestik werden nicht nur sparsam eingesetzt, sondern sind im Grunde nicht vorhanden. Eine Einführung oder nachträgliche Diskussion hätte viele Fragen beantworten und so zumindest ansatzweise das Verständnis für den Inhalt erweitern können.
SENZO NI NARU (Kaoru Ikeya, Japan 2013)
Nach dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami im März 2011 in Japan begleitet der Dokumentarfilmemacher Kaoru Ikeyai den positiv in die Zukunft blickenden und fast 80jährigen Naoshi Sato in seinem Kampf für den Wiederaufbau – nicht nur seines eigenen Hauses, sondern des gesamten Dorfes. Es geht hier nicht nur um Material, Infrastruktur, die aufgebaut werden muss, sondern vor allem um das soziale Netzwerk einer Gemeinde an einem Ort, an dem zumindest Naoshi Sato geboren und aufgewachsen ist und wo die Geister seiner Vorfahren (auch der seines während des Tsunami verstorbenen Sohnes) leben.
Immer wieder wird sehr deutlich, dass der Protagonist alt und zerbrechlich ist und gerade deshalb überrascht er mit seiner sehr pragmatischen, in sich ruhenden und gutmütigen Art, er respektiert seine Umgebung – dazu gehören die Erde und die Natur genauso wie seine Nachbarn. Gleichzeitig verlässt ihn seine Frau, weil er nichts anderes mehr tut, als für den Wiederaufbau zu kämpfen, sein Sohn ertrinkt in den Fluten und seine Schwiegertochter zieht wieder zu ihrer eigenen Familie. Aber die Geister seiner Vorfahren und er schauen am Ende dem Sonnenaufgang entgegen – in einem neuen Haus am alten gewohnten Ort.
MO SHENG – FORGETTING TO KNOW YOU (Quang Ling, China 2010)
Der wirklich dämliche englische Untertitel führt in eine vollkommen falsche Richtung. Es geht hier keinesfalls um ein Ehepaar, das sich langsam auseinanderlebt oder gar vergessen hat, dass es sich einmal geliebt hat. Der Untertitel impliziert eine Narratologie, die im Film so nicht ausgearbeitet wird – wir befinden uns zu Beginn des Films bereits in der Situation, dass keine Kommunikation zwischen den Eheleuten mehr stattfindet. Das tut jedoch weder der Geschichte, noch den Bildern etwas ab. Es ist genau das, was den Film spannend und außergewöhnlich macht: Viele Drehbücher hätten sich auf die Geschichte “davor” gestürzt, erzählt, wie es zur Entfremdung kommt und vielleicht mit einem offenen Ende ein Fazit gezogen. Dieses Werk setzt aber genau hier ein:
Es hat sich offensichtlich nicht nur Langeweile ausgebreitet, sondern eine Genervtheit der Eheleute, die sich nicht nur in kleinen Sticheleien im Alltag zeigt, sondern bis hin zur sexuellen Gewalt, bis zur öffentlichen Demütigung geht. Es wird mit Eifersucht gespielt, dessen Reaktion jedoch mehr davon zeugt, dass keine Eifersucht mehr vorhanden ist und eigentlich nur noch der Ruf im Freundeskreis und unter Nachbarn dazu anregt, sich über eventuelles Fremdgehen zu ärgern. Und da ist auch noch die gemeinsame Tochter – oder doch nicht? Lieber einen Vaterschaftstest machen … Der Film zeigt unheimlich eindrücklich, wie das Unvermögen, sich einzugestehen, dass man sich wirklich nichts mehr zu sagen hat, mehrere Leben zu zerstören droht. Großartige Schauspieler!
Der Film ist bereits zwei Jahre alt, das Erstlingswerk einer jungen Erzählerin von Kurzgeschichten, die dafür auch bereits mit einigen Preisen überhäuft wurde. Da darf man sicher gespannt sein, was da noch kommen mag.