Daredevil – Der Mann ohne Furcht “fällt aus dem Rahmen”


Wie der nicht ganz eindeutige Titel bereits erahnen lässt, soll hier nicht allein eine Inhaltsangabe der neuesten Comic-Verfilmung vorgelegt, sondern ebendiese auch als solche im Vergleich zur Sprechblasen-Vorlage betrachtet werden. Wer Daredevil bereits kennt – und das dürften hierzulande nicht sehr viele sein –, der findet bestimmt Gefallen an der Art und Weise, wie über die Anfänge und den frühen Werdegang des durch einen Biochemie-Unfalles erblindeten und dadurch gleichzeitig mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestatteten Jungen Matt Murdock berichtet wird. Auch hier sieht man analog zu Spiderman das Schlüsselerlebnis, das den Gerechtigkeitssinn der angehenden Superhelden erweckt, nämlich die Ermordung seines Vaters, eines Boxers. An dieser Stelle möchte ich – übrigens nicht zum einzigen Mal – einen Querverweis zu Spiderman anbringen, denn man kommt anhand der Parallelen kaum darum herum, allein schon was den erwähnten Erzählrahmen und besagtes Ereignis im Leben der jungen Helden angeht, ob es nun die Ermordung des Vaters oder eben des väterlich fürsorglichen Onkel Bens im Falle von Peter Parker sei. Denn Daredevil (gespielt von Ben Affleck; „Pearl Harbor“) findet seinen Ursprung unter dem gleichen künstlerischen Dach wie Spiderman, dem Marvel-Comicverlag. Einzig die Popularität des Netzschwingers ist vor allem bei uns ungleich grösser und die meisten nur durchschnittlich interessierten Comicleser werden unumwunden zugeben müssen, Daredevil lediglich aus den hinteren Hälften, den Zweitstories der deutschen Die Spinne-Ausgaben zu kennen. Der herangewachsene Matt kämpft im Alltag mehr oder weniger erfolgreich als Rechtsanwalt meistens für minderbemittelte Klienten, während er in der Nacht als maskierter Teufel die Unterwelt in Angst und Schrecken versetzt. Im Film geht er dabei – wohl ganz im Sinne des aktuellen Zeitgeistes – sehr viel härter vor als ehedem „im Original“ und bewegt sich dabei hart am Rande der Selbstjustiz; gelegentlich bleibt dabei auch mal ein Gangster auf der (U-Bahn-)Strecke. Das war nicht immer so: im Comic wird Daredevil unmissverständlich als good guy dargestellt und hat es auch nicht nötig, sich wie im Film einmal laut selbst einzureden: „Ich bin der Gute!“ Denn bei Marvel ist es eigentlich stets auch sein Ruf, der ihm vorauseilt, und niemand zweifelt an seinen Absichten, wobei Spiderman hingegen im Comic wie im Film fälschlicherweise für einen Verbrecher gehalten wird und dagegen auch nicht viel tun kann, da ihm die öffentliche Meinung in Person des engstirnigen, voreingenommenen Zeitungsverlegers J. Jonah Jameson das Leben schwer macht. Die anfängliche Infragestellung der Behörden ob der Existenz von Daredevil erinnert hingegen vielmehr an den ersten Batman-Film, den düstersten, ernsthaftesten und meiner bescheidenen Meinung nach auch besten. Ein wichtiger Punkt ist die filmische Leichtigkeit und vielleicht gar Leichtfertigkeit, mit der einige Schwergewichte der Superheldencomics im Zuge von Daredevil auf die Leinwand gebracht wurden. Meistens kann das nur ein Kompromiss sein, doch den zweifellos besten ist man mit der Besetzung von Elektra (Jennifer Garner; „ALIAS“) eingegangen, der Figur der Ninja-Kämpferin und gleichzeitigen Hassliebe von Daredevil. Abgesehen von einem Hauch zu wenig asiatischem Background, den ihre Ausstrahlung im Comic nie in Zweifel zieht, ist dies vielleicht eine der brilliantesten Superhelden-Verkörperungen seit dem unvergessenen Christopher Reeve. Was jedoch ein wenig stört, ist die Weise, in der die Einführung ihrer Figur und vor allem ihre erste Begegnung mit Matt Murdock umgesetzt wurde. Ob das im Sinne des Erfinders war, sei hier einmal dahingestellt. Im „Zivilleben“ verlieben sich die toughe Millionärstochter und der Anwalt ineinander, bis durch ein tragisches Missverständnis für Elektra der Eindruck entsteht, Daredevil habe ihren Vater ermordet. Darauf zieht sie rasend vor Zorn und Rachegelüsten in den Kampf gegen ihn, doch als sie erkennt, um wen es sich bei ihrem vermeintlichen Todfeind wirklich handelt, ist es zu spät. Kampfunfähig am Boden liegend, muss Daredevil mitansehen, wie seine Geliebte vom wahren Mörder Bullseye niedergestreckt wird und in seinen Armen stirbt. Der fiese und hochgefährliche Schurke Bullseye (Colin Farrell; „Minority Report“), der die Fähigkeit besitzt, alles in seinen Händen zu einem tödlichen Geschoss zu machen und nie sein Ziel verfehlt, findet sich meines Wissens nach im Comic nur am Rande und stellt einen weitaus geringeren Gegner für Daredevil dar als manch anderer Marvel-Schurke (unter anderem auch der Hulk!). Die Gegner teilt der Mann ohne Furcht sich übrigens gelegentlich mit Spiderman, wobei auch schon Crossover-Geschichten vorkamen, in denen die beiden gemeinsam für das Gute kämpften (das lässt doch hoffen!). Das ist auch schon das Stichwort für einen weitaus gefährlicheren Gangster, nämlich den korpulenten, aber nahezu unbegrenzt mächtigen Geschäftsmann Wilson Fisk, der Unterwelt besser bekannt als Kingpin, der ohne jegliche Skrupel jedes Mittel einsetzt, um seine Interessen durchzusetzen. Im Comic weiss, im Film ein Farbiger (gespielt von Michael Clarke Duncan; „Green Mile“), geht leider viel von der ursprünglich bedrohlichen Aura des Kingpin verloren, der Eindruck der Unantastbarkeit und Unbesiegbarkeit des durch und durch bösen Mannes fehlt, wobei der Film für mich auch einiges an Spannung eingebüsst und Erwartungen enttäuscht hat. Einerseits wurde in der Handlung wirklich viel an Material aus den Comics verarbeitet, manch kundige Daredevil-Fans der ersten Stunde meinen, zu viel. Ein paar wenige liessen gar verlauten, dass das, was hier vorweggenommen worden ist, mit entsprechendem Tiefgang der Umsetzung für zwei Filme gereicht hätte. Bleibt abzuwarten, ob es ein Sequel geben wird, und wer dort als Gegner noch auftauchen wird (kann). Andererseits sind am Ende des Films die Weichen schon für einen zweiten Teil gestellt: die vermeintlich gestorbene Elektra lebt augenscheinlich noch (doch noch ein Hauch von fernöstlichem Mysterium, der ihrer Figur im Rest des Streifens so ganz und gar abging…), Bullseye desgleichen, wobei man auf ihn in einer Fortsetzung auch getrost verzichten könnte. Das meiste Potential bietet immer noch der Kingpin, eventuell ein wenig geschickter besetzt, aber dann bitte mit einer tragenderen Rolle in der Handlung und der Bedeutung, die ihm zukommen sollte. Im Comic nämlich legt sich Daredevil so sehr mit ihm an, dass dieser seine Existenz beinahe vernichtet und Matt Murdock eines Tages als zerlumpter und unrasierter Obdachloser bei Peter Parker auf der Türschwelle landet. Auch hier wieder meine leise Hoffnung auf ein team-up, vielleicht nach einem zweiten Spiderman-Film (Doc Octopus wartet schon…), wenn der Zenit der Superheldenfilme im Kino überschritten sein mag. Stoff genug gibt es reichlich als Comic-Vorlage: die beiden bekämpfen sich zunächst bei der ersten Begegnung (allein diese Bilder, wie sie sich gegenseitig über die Dächer von Manhattan jagen – ein Traum jedes comicbelesenen Jungenherzens), raufen sich dann aber zusammen. Im Laufe der Zeit erfahren sie ihre jeweiligen Geheimidentitäten, was weitere Komplikationen nach sich zieht. Genug Stoff für einen eigenen Film also. Auch in Form eines nett gemachten Zeichentrickfilm haben die beiden bereits gemeinsam gegen den Kingpin gekämpft. Sehr schön sind die vielen Kleinigkeiten, die den Kennern teilweise wie „Schmankerl“ vorkommen müssen, allem voran natürlich die Effekte aus der Sicht des blinden Daredevil, wie er seine Umwelt mit dem „Radar-Sinn“ wahrnimmt. Auch erwähnt werden sollte der Charakter des Reporters Ben Urich (Joe Pantoliano; „Matrix“), der analog zu den Comics seine Identität aufdeckt, diese aber geheimhält und fortan nicht nur ihn, sondern auch Spiderman mit Informationen im Kampf gegen die Unterwelt versorgt, vor allem auch gegen den Kingpin, was Urich im späteren Verlauf der Handlung zum Verhängnis wird. Fazit: Daredevil ist ein im Umfeld der momentanen Welle der Marvel-Comicverfilmungen durchaus gelungener Streifen, nicht nur, aber vor allem für Fans sehenswert. Die Story hat zwar einige Schwachstellen, vor allem dort, wo sie vom Original abweicht, wartet aber auch mit genügend Authenzität im Sinne der guten alten Marvel-Stories auf.

 

Text: Andreas Riglione (02.06.2003)

 


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