Es geht in der diesjährigen Retrospektive also auch um ein Stück deutscher Filmgeschichte, die häufig aus den Augen gelassen wird: um Exilfilm. Regisseure, Drehbuchautoren, Schauspieler, Kameraleute, usw., die ab spätestens 1933 ins Exil gezwungen wurden dürfen hier nach langer Zeit – viele der Filme wurden kürzlich erst restauriert – wieder eine Aufführung erleben. Danke!
4. VARIATIONS
LE GOLEM (Julien Duvivier)
Der Golem erinnert in seiner Architektur vor allem an Das Cabinet des Dr. Caligari – die Straßenzüge, die Kamine der Häuser, Schrägen, Schattenspiele, das Unheimliche, fehlende rechte Winkel – es ist eine echte Variation des expressionistischen Kinos der Weimarer Republik. Der Film handelt von der jüdischen Bevölkerung unter Rudolph II., der im Film schon viel seines Verstandes verloren hat. Der Golem soll die Rettung bringen, aber nur der junge Rabbi kennt die Worte, um ihn zum Leben zu erwecken. So sind die Schergen des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches nicht nur hinter dem Golem her, sondern auch hinter dem Rabbi. Duvivier spielt mit den Einflüssen des Weimarer Films, jedoch zieht sich die Geschichte doch etwas in die Länge – aber allein wegen der Bilder darf man ruhig Sitzfleisch zeigen.
CAR OF DREAMS (Graham Cutts, Austin Melford)
Die britische Komödie (mit einer phantastischen Grete Mosheim, die wie so viele Exilanten, außer für berufliche Termine nicht mehr nach Deutschland zurück kam), die ein echtes Schmuckstück der Retrospektive ist, zeigt große Analogien zu Gehard Lamprechts EINMAL GROSSE DAME SEIN. Eine junge Dame möchte einmal in ihrem Leben über ihre Verhältnisse hinaus leben, genießen, was sonst nicht zu genießen ist und lernt dabei – wie sollte es anders sein – ihre große Liebe kennen. Es wird gesungen, getanzt und die Ähnlichkeit zu den früheren Musikfilmen ist nach dem Verbot der Tonfilm-Operette in den 1930ern im Dritten Reich erstaunlich. Diese Filmkopie von Lamprecht verdanken wir der Murnau-Stiftung.
M (Joseph Losey)
Tja, was soll man dazu sagen? Einen Versuch war es wohl wert.
Die Einführung machte Harold Nebenzal, 90 Jahre alt und Produzent bei dieser amerikanischen Version von “M”. Das war wundervoll und einmalig – das war aber fast das einzige an dieser Vorführung, was ich als beeindruckend zu beschreiben vermag. Nebenzal stammt aus einer bekannten deutschen Produzentenfamilie, sein Vater und Großvater, waren bereits in der Weimarer Republik tätig. Übrigens hat Robert Aldrich (Whatever happened to Baby Jane?, Das dreckige Dutzend) die Regieassistenz übernommen.
Inhaltlich, wie vor allem auch ästhetisch kommt der Film um Längen nicht an Fritz Langs Original heran. Ich habe gar nichts gegen Remakes, aber dieses ging mal wirklich in die Hose. Das Setting sind nun die 1950er Jahre in LA, anstatt das Berlin der 1920/30er. Gerade das wichtige Element, die Parallelschnitte zwischen der Polizeisuche nach dem Kindsmörder und der Verfolgung durch die Gangster, die Gegenüberstellung zweier Rechtssysteme, Legalität und Illegalität, kommen in dieser Version leider völlig abhanden. David Wayne gibt alles, doch durch die Pseudopsychologisierung mittels des Drehbuchs wirkt seine Figur des Mörders, im Vergleich zu Peter Lorres Charakter langweilig. Die Gangster sind nicht Film Noir genug, um wenigstens eine auf die Weimarer Republik zurückgehende Wirkung entfalten zu können… Schade.
5. KNOW YOUR ENEMY
Diese Kategorie zeigt vor allem Filme über die Gegenwart, über Nationalsozialismus, Krieg, Flucht und Vertreibung. Vor allem die Rollenverteilungen dieser Filme sind in Bezug auf das Thema der Retrospektive wichtig: Exilanten, Vertrieben, Juden, Gegner des Nationalsozialismus mussten hier – in erster Linie wegen ihres Akzents, der sie selten in anderen Filmen mitspielen ließ und die Situation der Exilanten in einem fremden Land dadurch weiter prekär machte – Nazis spielen.
NONE SHALL ESCAPE (André de Toth)
nimmt praktisch die Nürnberger Prozesse vorweg. Wir befinden uns unmittelbar nach dem Krieg in einem Gerichtssaal, in dem deutsche Kriegsverbrecher, mit ihren Taten konfrontiert werden. In Rückblenden wird die Geschichte von Wilhelm Grimm (deutscher gehts fast nicht!) erzählt, von ehemaligen Freunden, Opfern, vom Bruder und der ehemaligen Liebe. Eindrücklich, mitreißend und alarmierend. Ein Anti-Nazi-Filme erster Klasse! Auch hier wird freilich viel psychologisiert, der Nazi wird schon von vornherein als moralisch schlechter Mensch eingeführt – das tut dem Film nichts ab und war zeitgenössisch sicher auch so intendiert. Filme werden nun einmal emotional aufgenommen und verarbeitet. Der Film wurde erst kürzlich restauriert, man kann nur hoffen, dass man nun wieder einige Aufführungen sehen darf.
ERGENS IN NEDERLAND (Ludwig Berger)
Einen Monat vor der Invasion der Nationalsozialisten in den Niederlanden wurde der Film fertig gestellt. Kurze Zeit später das Kino, in dem der Film laufen sollte, zerbombt. Dann sofort verboten und erst nach dem Krieg wurde eine Kopie gefunden und so fand der Film eine Wiederaufführung und gewann auch einige Preise. Ds alles hat seinen Grund: Der Film handelt von holländischen Marinesoldaten, die natürlich gegen die Deutschen kämpfen. Der Tenor des Films ist vor allem der Wunsch nach Erhaltung einer Welt, so wie sie Ehefrauen und Freundinnen der Soldaten lieben. Ein deutscher Film dieser Zeit hätte natürlich den Wunsch nach Erhaltung dieser Welt nur für das “deutsche Vaterland” zugelassen. Spannend wäre sicher ein Blick auf die eventuell noch erhaltene Zensurkarte.
Die Retrospektive THE WEIMAR TOUCH hat mich bisher stark beeindruckt und ich bin gespannt auf mehr. Die Reihe wird übrigens nach der Berlinale wieder im Museum of Modern Art, die in diesem Jahr auch bei der Auswahl der Filme mitgewirkt hatten, gezeigt.