YORGOS LANTHIMOS’ “THE LOBSTER” STARTET ENDLICH IM DEUTSCHEN KINO


[ KOMMENTAR ] Nun also doch: Über ein Jahr nach der Premiere in Cannes hat sich Major Sony, für den der britische Verleih Park Circus in diesem Fall die internationale Vertretung übernimmt, doch noch zu einem deutschen Kinostart der europäischen Koproduktion THE LOBSTER durchgerungen. Erst am 14. April brachte Sony den jüngsten Film des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos nach langem Zögern in Deutschland direkt auf DVD/BluRay heraus. Nun aber soll der Film am 23. Juni letztlich dort hin, wo sich Filme immer noch am besten sehen lassen – auf die große Leinwand.

Fans der humoristischen Dystopienfabel mit Tiefgang dürfen sich freuen – die Release-Geschichte von THE LOBSTER ist zugleich ein Lehrstück über den derzeit ungesunden Trend großer Verleiher, massenweise Independent-Produktionen, auch aus Europa, einzukaufen.

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Der wohl meist ignorierte Film des internationalen Wettbewerbs bei den letztjährigen 68. Filmfestspielen Cannes des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos darf nun endlich ins deutsche Programmkino. Während sich Presse und Publikum seinerzeit auf ebenso erstaunliche Mitbewerber wie CAROL (Todd Haynes), YOUTH (Paolo Sorrentino) und LA LOI DU MARCHÉ (Stéphane Brizé) stürzten, erhielt die schwer einzuordnende Dystopie, in der schnelle Verpaarung oberste Gebot ist, will man nicht in ein jagbares Tier verwandelt werden, nach seiner Premiere am 15. Mai ob seiner völlig außergewöhnlichen Mischung aus Romanze, Orwell und humoristischer Fabel überwiegendes Lob vom Publikum. Eine wohlkomponierte Starbesetzung aus Colin Farrell, Rachel Weisz, Jessica Barden, Léa Seydoux, John C. Reilly und Ben Whishaw rückte THE LOBSTER ins Blickfeld nicht nur der kleineren, sondern auch der (ganz) großen anwesenden Verleiher. Am Ende konnte Lanthimos, der bereits 2009 mit DOGTOOTH die Nebensektion Un Certain Regard gewann, mit THE LOBSTER unter anderem sogar die Goldene Palme für den Preis der Jury sowie im Dezember den Europäischen Filmpreis für das beste Drehbuch einsammeln.

Bereits der damalige ungarische Mitbewerber und Geheimtipp SAUL FÍA (SON OF SAUL) von László Nemes wurde parallel von Sony eingekauft, ohne, dass auch Monate später eine Release-Option für das breite Kinopublikum (in Deutschland) bestand. Was man hat, hat man. Ihn hätte wohl ein ähnliches Hickhack ereilt, wäre der zugegeben heftige Tobak über einen ungarischen Häftling in Auschwitz-Birkenau Ende 1944 nicht für den Oscar als Bester fremdsprachiger Film nominiert worden – den er schließlich sogar gewann. Im März diesen Jahres war man sodann doch noch eilig bemüht, die Kinokassen klingeln zu lassen.

Mit dem massenweisen Einkauf von Indie-Produktionen, die auch nur ansatzweise einen kommerziellen Erfolg versprechen könnten, durch finanziell und strukturell überlegene Majors, bei der kleinere Distributionen im Zweifel kaum mithalten können, homogenisiert sich der Filmmarkt weiter in eine Richtung, die ausschließlich auf maximalen Kassenerfolg und ein Publikum als Masse reiner Konsumenten setzt, wie auch dieses Mal hinter den Kulissen der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes zunehmend offen kritisiert wurde.

Auch im vergangenen Februar war man bei Park Circus auf Anfrage immer noch nicht sicher, ob THE LOBSTER überhaupt noch jemals ins deutsche Kino soll, nachdem er immerhin bereits im Herbst in einigen europäischen Ländern wie Italien, Großbritannien und Belgien angelaufen und parallel auf kleineren (Viennale, Filmfest Hamburg) und größeren Festivals (Karlovy Vary, Sundance) ausgewertet worden war. Immerhin hieß es im Mai in Cannes, Park Circus hätte sich unter Mitwirken der Yorck-Kinogruppe auf einen begrenzten deutschen Kinostart ab Oktober für jeweils zwei Wochen in Berlin, Hamburg und München geeinigt. Yorck dürfte einflussreiche Kraft für einen Release gewesen sein, der allein in Berlin zwölf Kinos betreibt – darunter Traditionshäuser wie das Kino International (Premierenkino der DDR) und den Delphi Filmpalast am Zoo. Kommt also allein der Kino-Standort Deutschland nicht aus dem Knick oder ist für die Auswertung europäischer Produktionen ein zu wackliger Kandidat?

Mit dem Hinauszögern der Kinostarts dürften es Majors wie Sony jedenfalls der schnelllebigen Konkurrenz der Internet-Streaming-Dienste leicht machen, von denen sich – anders als scheinbar Amazon, der sehr bemüht den Schulterschluss mit der Kinoszene sucht – vor allem Netflix als aggressiver Ablöser des 120-jährigen Modells Kino sieht und das Filmschauen ganz ins private, ohne Kinosaal und bei dieser Gelegenheit zufällig zusammen kommenden Menschen, verlegen will. Das Kapital der kleinen sowie (vor allem) großen internationalen Filmfestivals, letztlich auch jenes des örtlichen Kinos für das breite Publikum, ist es immerhin, die erste oder jedenfalls frühzeitigste Aufführung eines neuen Films zu übernehmen, bei der erst jene neugierige Filmfans generiert werden, die Netflix und Co meinen, selbst und im Alleingang für lebendiges Filmschaffen, einschließlich kleiner und mal unbequemer Produktionen, begeistern zu können. Ob auch eine Europa-Quote für den Streaming-Dienst, wie sie derzeit im Gespräch ist, Abhilfe im Bewahren um ein solches, weiterhin buntes Filmproduzieren und dessen Auswertung schafft, an deren Ende nicht wieder nur Schweiger und Konsorten profitieren, bleibt abzuwarten.

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THE LOBSTER

Griechenland/ Irland/ Niederlande/ Großbritannien/ Frankreich 2015

Regie: Yorgos Lanthimos

Drehbuch: Yorgos Lanthimos, Efthymis Filippou

Kamera: Thimios Bakatakis

Cast: Colin Farrell, Rachel Weisz, Léa Seydoux, John C. Reilly, Ben Whishaw

Länge: 119 Minuten

Deutscher Kinostart: 23. Juni 2016

Internationaler Verleih: Park Circus (Sony)

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Text: Antje Lossin, 09.06.2016

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