New York, New York! Nein, es geht hier nicht um Woody Allen, auch wenn die beiden mehr gemeinsam haben, als die dick umrandeten Brillen und ihre Stadt – Martin Scorsese, der andere New Yorker, feiert am 17. November 2012 seinen 70. Geburtstag.
Zurzeit laufen die Dreharbeiten zu seinem neuen Film „The Wolf of Wall Street“, unter anderem mit Leonardo DiCaprio, Jean Dujardin und Matthew McConaughey, über korrupte Machenschaften in der Welt der Wallstreet. Es ist bereits die fünfte Zusammenarbeit mit DiCaprio. Was früher Robert de Niro war, ist heute Leonardo DiCaprio, mit dem Scorsese „Gangs of New York“, „The Aviator“, „The Departed“ und auch „Shutter Island“ gedreht hatte. Scorsese greift immer wieder auf ein Stammensemble zurück, wozu auch der Kameramann Michael Ballhaus, aber vor allem Thelma Schoonmaker gehören, mit der er studiert hatte und die den Schnitt für seinen ersten Film „What’s that knocking at my door“ und ab 1980 für alle Scorsese-Filme übernommen hat.
„The Wolf of Wallstreet“ wird digital aufgenommen – für den Hüter des Filmerbes nach dem 3D-Film „Hugo Cabret“ erst das zweite Mal. Seit mehr als 20 Jahren, 1990, als er mit George Lucas, Steven Spielberg, Stanley Kubrick und Clint Eastwood „The Film Foundation“ gegründet hatte, setzt er sich für die Restaurierung und Digitalisierung amerikanischen Filmerbes ein. Vor fünf Jahren begann er, auch die Archivierung und Restaurierung von Filmen aus dem Rest der Welt voranzutreiben. Hierfür hatte er 2007 die „World Cinema Foundation“ gegründet, zu deren Advisory Board namhafte Mitstreiter wie unter anderem Fatih Akin, Wim Wenders, Inarritu, Frears, Kiarostami, Tavernier, usw. gehören. Von klassischen amerikanischen Filmen bis hin zu türkischen und japanischen Produktionen verlängert sich die Liste an geretteten Filmen immer weiter.
Scorsese kann auf eine lange Reihe von erfolgreichen Filmen zurückblicken: Von „Mean Streets“ (1973) und „Taxi Driver“ (1976) bis hin zu „Gangs of New York“ (2002) und „The Departed“ (2006). Kontinuität heißt bei Scorsese nicht nur personelle, sondern auch thematisch greift der Regisseur mit italienischen Wurzeln immer wieder auf bestimmte Aspekte zurück: italienisch-amerikanische Identität(skrisen), Katholizismus, Gewalt, das Leben in den Straßen. Weniger bekannt sind seine Musik-Dokumentarfilme: „The Last Waltz“ über das berühmte Konzert von „The Band“ 1976 in San Francisco oder der Bob-Dylan-Film „No Direction Home“, „Shine a Light“ über „The Rolling Stones“ und „George Harrison: Living in the Material World“ aus dem Jahr 2011.
Noch vor dem Durchbruch mit „Mean Streets“ verwirklichte er mit Hilfe Roger Cormans, Mentor auch für viele andere heute bekannte Regisseure wie Peter Bogdanovich, Francis Ford Coppola und Jonathan Demme, 1971 „Boxcar Bertha“ über zwei Zugräuber in den 1930er Jahren in den amerikanischen Südstaaten. Cormans Schule lehrte den jungen Regisseur auch mit knappem Budget und wenig Zeit gute Filme machen zu können.
Als „Taxi Driver“ dann fast 10 Jahre später beim Filmfestival in Cannes die Goldene Palme gewann, bedeutete dies den Durchbruch für den Regisseur. Hier arbeitete er zum ersten mal mit Autor Paul Schrader zusammen. Jedoch nur kurze Zeit später folgte der Kassenflop, der Musikfilm „New York, New York“, der ihn in eine Depression stürzte und seine Kokainsucht vorantrieb. Doch wie das Filmbusiness so spielt: Wieder zwei Jahre später erhielt „Raging Bull“ acht Oscarnominierungen. Erst 2006 erhielt er die berühmte Trophäe. Er beschäftigte sich aber nicht nur mit Spielfilmen. In den 1980er Jahren, als MTV und Musikvideos auf einem Höhepunkt waren, übernahm Scorsese die Regie des berühmten Michael-Jackson-Videos „Bad“. Und auch heute, wo US-Serien immer teurer werdende Großprojekte sind und vielen Filmen in Nichts nachstehen, macht Scorsese Ausflüge in die Welt der TV-Serien. So führte er Regie bei der Pilotserie zu „Boardwalk Empire“ über die Prohibitionszeit in den USA und ist seither inhaltlich und finanziell eng mit der Serie verbunden.
Martin Scorsese ist ein unermüdlich schaffender Künstler, der bestimmten Themen und Personen treu bleibt, aber keine Scheu zeigt neue Wege zu gehen, Anderes auszuprobieren. Schon als Kind war der damals athmakranke „Marty“ sehr häufig im Kino, sah zahlreiche Klassiker. Der italienische Neorealismus hatte es ihm dabei besonders angetan, aber auch die alten Michael-Powell-Filme gehören zu seiner mentalen Filmbibliothek, die er heute nicht nur in der Erinnerung, sondern eben auch archivalisch zu zu bewahren weiß.
Text: Jennifer Borrmann (15.11.2012)