Die Wiederaufführung des Giallo-Klassikers
I, 1987, Dario Argento
Ein Jahr ist es her, dass Dario Argentos Giallo-Klassiker „Terror in der Oper“ über eine junge Sopranistin, die mit ihrem Opernensemble von einem brutalen Mörder heimgesucht wird, nicht mehr auf dem deutschen Index steht. Nun ist der Film in seiner ursprünglichen Länge nach fast 30 Jahren – wieder – im Kino zu sehen. Denn genau dafür wurde das Werk geschaffen. So wie das Opernensemble im Film den monumentalen Saal als Klang- und Spielraum benötigt, so braucht der Film „Terror in der Oper“ in seiner exploitativen Inszenierung des Terrors, den dunklen Kinoraum und die große Leinwand, um sich in seiner Gänze zu entfalten.
Horrorfilmregisseur Marco (Ian Charleson), inszeniert Giuseppe Verdis „Macbeth“ auf der Bühne. Eine Oper, die Unglück bringen soll. Er wirkt leicht fehl am Platz, seine Primadonna beschimpft ihn – ein wunderbar eingeflochtener Kommentar auf das vorgeblich niveaulose Kino – als ahnungslosen Dilettanten, wird kurz darauf in einen Autounfall verwickelt und kann nicht in ihrer Rolle brillieren. Die junge und unerfahrene Betty (Cristina Marsillach) übernimmt ihren Part und debütiert glanzvoll als Lady Macbeth. Währenddessen wird einer der Platzanweiser auf bestialische Art und Weise ermordet. Es bleibt nicht bei dieser einen Tat. Und jedes Mal nimmt der maskierte Mörder Kontakt zu jungen Sängerin auf, zwingt sie auf grausame Art und Weise, sich seine brutalen Morde anzusehen. Nur um sie gleich danach wieder zu befreien und zu verschwinden. Langsam verschwimmen diese Bilder mit Wahnvorstellungen und Versatzstücken aus Erinnerungen zu einem undurchsichtigen Gewirr in Bettys Kopf…
Der Zuschauer nimmt Bettys Premierenauftritt für eine ganze Zeit gefiltert und isoliert durch die Linse eines Opernglases aus der Loge wahr. Es sind die Augen des Mörders, mit denen der Zuschauer auf die Darstellerin herunterblickt. Richtung und Fokus werden gekonnt als Genrekommentar auf die Lust am Sehen, die guilty pleasure, inszeniert. Es ist das Auge, das Sehen, der Blick, die in Dario Argentos Meisterwerk ein Hauptthema bilden. Immer wieder werden die Augen der Raben, die Teil des Bühnenbildes sind und später noch zu wichtigen Protagonisten werden, aber auch Bettys mit Nadeln zum Aufreißen gezwungene Augen und letztlich Ronnie Taylors Kamera selbst als Auge des Zuschauers in den Mittelpunkt des Films gerückt. Die Kamera fungiert als Richtungslenker, selbst agierender Protagonist, nimmt aber auch die Positionen der Charaktere ein. Mit der in Bettys Wohnung von Zimmer zu Zimmer sich bedrohlich bewegenden Kamera oder mit den zwischen Mörder und Opfer hin- und herchangierenden Blickwinkeln entwickelt der Director of Cinematography ein für den Horrorfilm wunderbar funktionierendes dramaturgisches Mittel: Das unzuverlässige Erzählen. Für den Horrorfilmzuschauer ein unabdingbarer Teil der erwünschten Seherfahrung. Taylor scheint seine Erfahrungen aus kameratechnisch so extrem unterschiedlichen Arbeiten wie „Ghandi“ und „A Chorus Line“ in ein einziges Perspektivenspektakel zu verknüpfen.
Daneben erweist Argento in einer Verbeugung zahlreichen Regisseuren, Filmwerken und dem Horrorgenre seine Ehre. Filmische Referenzen auf Brian de Palma bis hin zu Alfred Hitchcock vermengt Argento. Entstanden ist eine Mischung aus „Psycho“, „Die Vögel“ und Gaston Leroux’ „Phantom der Oper“. Darüber hinaus nimmt Bettys grausame Tortur, sich unter Zwang die Morde ansehen zu müssen, nicht zufällig direkten Bezug auf Stanley Kubricks „A Clockwork Orange“. Der Komplex um Schockbilder, Brutalität, Sexualität und extremer Gewaltdarstellung bildet ein wiederkehrendes und immer wieder psycholgisiertes und soziokulturell diskutiertes Element des Horrorfilms und besonders des Slasherfilms. Dario Argentos vielleicht bester Film bildet hier keine Ausnahme und fungiert überdies in der Theatralik der ikonografischen Charaktere, der expressiven Farbgestaltung, Renato Casaros die Mechanismen des Giallo spiegelndem Filmplakats, des Einsatzes von Musik, der Referenzfülle sogar als selbstreflexiver Genrekommentar.
„Es ist nicht meine Art, Kino und Realität miteinander zu vermengen”, so Argentos Alter Ego im Film. Film ist hier inszenierte Kunst im wahrsten Sinn. „Terror in der Oper“ ist eine Verbeugung an das Genre und ein Gesamtkunstwerk, weil die verschiedenen Bereiche des Films in sich geschlossen als ein perfekt aufeinander abgestimmtes Werk wirken und funktionieren.
Jennifer Borrmann
(Erstabdruck: Filmdienst)
Wer den Kinostart am 5. Januar 2017 verpasst hat: Es gibt einige wunderschön designte BluRay-Editionen.