Man spricht politisch


Auch 2008 hat die Berlinale ihren Ruf als bevorzugte Ausstellbühne für Filme zu politischen Themen bestätigt. Beide Hauptpreise gingen an Werke, die sich um brisante Angelegenheiten drehten:

Den Goldenen Bären für den besten Film holte „Tropa de Elite“. Der Brasilianer José Padilha zeigt darin mit schonungsloser Härte die Gewalt mit der eine Polizeieinheit in den Favelas von Rio de Janeiro gegen Drogenbosse vorgeht. Dass die Grenzen zwischen den „guten“ Polizisten und den „bösen“ Gangstern verschwimmen, kennt man seit Friedkins „French Connection“. Aber die von Padilha inszenierten Bilder wird man trotzdem so schnell nicht los, wohl auch da der Ex-Dokumentarfilmer nicht nur die Arbeit der Elitepolizisten, sondern auch ihre Ausbildung als quasi-Parallelcamp zur Drogenmafia darstellt. Einem vor sich hin dösenden Polizeianwärter drückt der Ausbilder dann eben eine scharfe Granate in die Hand und das mit den lockeren Worten „Wenn du weiterschläfst, jagst du uns alle in die Luft“. Natürlich ist das dann schnell so erschreckend, dass man die Frage stellen muss, ob hier nicht doch die fragwürdigen Methoden der Polizei verherrlicht werden. Jedenfalls stellt der Gewalt- und Schockfaktor dieses Films selbst Meirelles’ „City of God“ in den Schatten.

Den Große Preis der Jury ging an „Standard Operating Procedure“, einen Film, der beweist, dass man nicht in die Favelas von Rio gehen muss, um brutaler Gewalt von staatlichen Ordnungshütern gegen Gesetzesbrecher beiwohnen zu können. Auch im rechtsfreien Raum des amerikanischen Militärgefängnisses Abu Ghraib funktioniert das ohne Probleme. Was der erfahrene Doku-Regisseur Errol Morris hier geschafft hat, ist beeindruckend: Alle Beteiligten des Folterskandals schildern vor seiner Kamera ihre Versionen der Ereignisse. Heraus kommt dabei das Bild einer verqueren Welt, in der ethische Normen durch Missionsziele ersetzt werden. Fast selbstverständlich klingt es, wenn die Soldaten vom Tod eines Gefangenen erzählen. Die von den sphärischen Klängen von Hollywood-Komponist Danny Elfman unterlegten Spielszenen sind dann zwar teilweise etwas zu viel des Guten, doch auch solche Extravaganzen können die Botschaft, dass die Wahrung der Menschenrechte auch in Zeiten des Krieges gegen den Terror oberstes Gebot sind, nicht abschwächen. Auch wenn eine Reihe von Zuschauer seinen drastischen Inhalt nicht bis zum Ende ertragen konnte: SOP ist einer der wichtigsten Filme dieses Jahres.

Weniger eindeutig politisiert wirkt auf den durchschnittlichen westeuropäischen Kinogänger das japanische Drama „Kabei“, schließlich scheinen die Repressionen des faschistischen Staates gegen den Vater der Hauptfigur Handlungselemente eines ganz normalen Historiendramas zu sein. In Japan hat der Film jedoch durchaus politisiert, da eine derart offene Darstellung der eigenen Geschichte sich als alles andere als selbstverständlich erwiesen hat.

Ebensowenig selbstverständlich ist es, einen Berlinale-Film unmittelbar nach der Rückkehr im Fernsehen zu sehen. Im Falle der Anna-Politkowskaja-Dokumentation „Ein Artikel zu viel“ war es dennoch so, da diese direkt von der ARD eingekauft wurde.

Überhaupt ist eine Reihe sehenswerter Filme nicht im Kino sondern auf der Mattscheibe gelandet. Wie auch „Sag mir, wo die Schönen sind“, eine originelle Dokumentation über die Schicksale der Teilnehmerinnen des letzten Leipziger Schönheitswettbewerbes. Die Unternehmerin, die Hausfrau, die Lehrerin, die Esoterikerin – die einzige Konstante ist, dass sie heute definitiv nicht alle das gleiche machen. Der Film ist aber nicht nur eine nette Entdeckungsreise, auch die Erfahrungen der Frauen mit dem Übergang von Kommunismus zu Kapitalismus wird groß geschrieben. So dass sich dann auch auf der ganz individuellen Ebene politische Fragen ausmachen lassen.

Text: Martin Koch, 08.03.2008Berlinale’08

 

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