Kurzkritiken der Woche (5)


aka-Filme

Wenn die Gondeln Trauer tragen – Religiöse Propaganda

„Wir schauen nur, aber wir sehen nicht“ – dieser Satz von Andrei Tarkowski hallt auch heute noch jedem Filmkritiker durch den Kopf, der den Film aus einer gesellschaftskritischen Sicht analysiert und die Ideologie dahinter freilegen will. Der Filmtitel „Don’t Look Now“ lässt sich als direkte Anspielung auf den Umstand verstehen, den der Film ansprechen will: Wir (und die Charaktere) sollen nicht den Film anschauen, sondern sehen, was dahintersteht. Ganz konkret ist aber damit die alternative Dimension gemeint, hinter der die Ehefrau ihre kleine Tochter vermutet, nachdem ihr von einer Wahrsagerin die Anwesenheit der (jetzt) glücklichen Tochter bestätigt wurde. Für die Ehefrau ist somit alles geklärt, Reflexionen scheinen unnötig, die Religion hat die absolute Wahrheit in die Welt gebracht. Wenn aber der Ehemann, der einfach nur schaut, statt sieht, am Ende stirbt, ist der Kreis der religiösen Propaganda komplett: Hätte er doch nur auf die so offensichtlichen (wahren) Warnungen gehört! Und das Happy End für die Frau ist auch da: Sie wird ihren Mann und ihre Tochter irgendwann wiedersehen. Aber für jetzt reicht das Wissen um die Existenz der zweiten Dimension aus. Viel interessanter wäre es nun, die Frau weiterzuverfolgen in ihrem Leben. Denn: Wie lebt es sich eigentlich mit dem Besitz dieser absoluten Wahrheit? (DS)

The Wind That Shakes The Barley – Das politische Vakuum

Sobald sich die Briten aus Irland zurückgezogen hatten, entstand in Irland nach dem Ersten Weltkrieg ein gewaltiges politisches Vakuum. Ken Loach zeigt nun, wie sich dieses Land auf dem Weg in einen Bürgerkrieg begibt, um letztlich dieses politische Vakuum aufzufüllen. Dies lässt eine spannende Frage zu: Wie entstehen soziale und politische Ordnungen? Gibt es für diese Ordnungen aus der polittheoretischen Sicht Notwendigkeitsannahmen, wie sie bspw. Chantal Mouffe mit ihrem antagonistischen „Wesen des Politischen“ macht? Indem aus den existentiellen Wettstreiten im Antagonismus ein agonistischer Pluralismus entstehen soll, der die Möglichkeit alternativer Ordnungen nicht negiert, so wie es die heutigen liberalen-demokratischen Institutionen vorgeben. Wenn sich im Film um den anglo-irischen Vertrag gestritten wird, der zwar einen Irischen Freistaat vorsieht, allerdings nicht die vollständige Anzahl der Grafschaften auf der Insel beinhaltet, wird sich genau diesem Pluralismus hingegeben: Andere Ideen sozialer Ordnungen scheinen möglich, der plurale Agonismus scheint zu funktionieren, sind sich die irischen Unabhängigkeitskämpfer doch einig, dass es keinen Krieg mehr geben soll. Doch ein Konsens über den Vertrag ist nicht in Sicht, sind sich die Iren doch untereinander uneinig, auf welchen Konsens, also auf welche ethisch-politischen Prinzipien sich dieser Staat gründen soll. Die einen sehen diesen Vertrag als hegemonialen Zwang durch die Briten an, während die anderen die Zukunft einer kriegsfreien Zeit allem anderen vorziehen. Die Annahme einer strikten antagonistischen Essenz der Gesellschaft birgt die Gefahr, Gewissheiten über deren Beschaffenheit in den politischen Diskurs zu übertragen. Aber: „Wir streiten uns über die soziale und politische Einrichtung unserer Welt schließlich gerade deshalb, weil wir keine Gewissheit über ihre Beschaffenheit besitzen.“[1] Somit muss es auch offenbleiben, ob es immer, wie am Ende des Films, zur Füsillade bzw. Tragödie kommen muss. (DS)

[1] Flügel-Martinsen, Oliver. Befragungen des Politischen: Subjektkonstitution–Gesellschaftsordnung–Radikale Demokratie. Springer-Verlag, 2016, S. 246

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Wenn Patriotismus zweitrangig wird – Kurzkritik zu „Cold War“

Es gibt sie zu genüge: Filme, welche nur von Patriotismus strotzen und nicht genug davon bekommen, den Zuschauer damit zu überschütten. Viele halten das auch vom polnischen Regisseur Paweł Pawlikowski, der vor allem bis dato für seinen oscar-gekrönten Streifen „Ida“ bekannt war. Spätestens jedoch mit seinem neuen Werk „Cold War“ zeigt er, dass es nicht überwiegend Patriotismus in seinen Filmen braucht, um sie gut zu machen, sondern dem Zuschauer durch clever geschriebene Dialoge, schönen Liedern, einer sehr nahe gehenden Handlung und einer großartigen Darstellerriege um die Hauptdarsteller Joanna Kullig und Tomasz Kot möglichst viele Emotionen rüberbringen möchte. Dies gelingt ihm trotz der nicht gerade einfachen Thematik des kalten Krieges hervorragend, so gleicht der Titel einer Metapher, die sich wie ein roter Faden durch das Verhältnis der beiden Hauptfiguren zieht. Vor allem aber besticht der Film, wie auch schon in „Ida“ zu bewundern, durch sein 4:3-Format und seine brillante Schwarz-Weiß-Optik, um die damalige Zeit optimal zur Geltung zu bringen. Ja, auch ein wenig Patriotismus ist in „Cold War“ vorhanden, aber genau in der Menge, sodass der Film in seinem Gesamtkonstrukt nicht zusammenfällt und die zu überbringende Emotionalität, welche den Film trägt und so wertvoll macht, am Leben erhält. Definitiv ein Kandidat auf den Auslands-Oscar, wenn nicht sogar Favorit! (PF)

Das Enfant Terrible schlägt wieder zu – Kurzkritik zu „The House That Jack Built“

Ich gebe ehrlich zu, dass ich zuvor noch nie einen Film von Lars von Trier gesehen habe. Umso gespannter ging ich in „The House That Jack Built“ und war überrascht, wie unterhaltsam, düster und provokativ dieser Film ist. Angefangen beim Cast, der mit Matt Dillon und Bruno Ganz, meiner Ansicht nach bei über zweieinhalb Stunden Laufzeit mit deutlich zu wenig Screentime, herausragend besetzt ist und wo vor allem erstgenannter sein ganzes Potenzial abruft. Auch die Thematik, das Ganze als fiktiven Höllentrip mit tatsächlichem Höllengang zu gestalten, hat mir als von Trier-Neuling sehr gefallen. Von Trier zeigt aber auch Elemente, die mir zumindest ein wenig hart auf den Magen geschlagen haben, so kamen unzählige Bilder von rechtspopulistischen Machthabern älterer Zeit und vom Nationalsozialismus im Film vor. Genau dies aber sind die Gründe, warum dieser Regisseur so stark diskutiert wird bzw. streitbar ist, wenn ein neuer Streifen von ihm erscheint. Man kann darüber streiten, ob diese Art von Bildauswahl, Thematik und Intention der Hauptcharaktere für den Zuschauer akzeptabel ist oder nicht, zu akzeptieren hat man von Triers Filme wie jeden anderen Film von anderen Regisseuren auf jeden Fall – spätestens mit „The House That Jack Built“. (PF)

Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot – Zeitloses Kunstkino

Die gelebte Philosophie Heideggers, eine zeitlose Gegenwart, lässt Philip Gröning seinen Lauf in diesem drei-stündigen poetischen sowie sperrigen Film. Verweise auf die (Natur)Romantik machen klar, dass hier ein durchaus deutscher Film vorliegt. Freiheit soll diese Tankstelle darstellen, absolute Abgeschiedenheit von einer Welt, die sich einem marktkonformen Hedonismus verschrieben hat. Doch schleicht sich auch hier der Begriff des Nutzens in den Film, wenn die vorbeifahrenden Kunden die sexuelle „Dienstleistung“ mit einem Geldwert abwiegen wollen. Als ob die Moral sich nun selbst mit weltlichen Dingen abwiegen lasse. Für die Geschwister jedoch kein Problem: Wenn die Gegenwart eigentlich nicht in einer zeitlichen Dimension existiert, lassen sich auch keine Konsequenzen daraus ableiten. Sie vergeht eben, so schnell wie sie gekommen ist. Doch ein zeitloser Gegenwartsbegriff birgt eine absolute Gefahr, die sich im letzten Drittel des Films völlig intensiv entlädt. Subjekte, die den Egoismus gewaltsam überwinden um das Andere, die bevorstehende Trennung der Geschwister und damit das Entstehen des eigenen Selbst, wieder gelten zu lassen. Wenn sich der Mensch aus dem Zentrum, dass er sich durch den Humanismus vermeintlich gegeben hat, nimmt, könne er laut Heidegger den Nihilismus überwinden. Aber: Eine Handlungsethik ohne Zeitbegriff der Gegenwart, in dem Moment, in dem sich verantwortungsbewusst entschieden werden muss, ist nun einmal nicht möglich. (DS)


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