Filmfest München – Fazit


Sterne über uns © FILMFEST MÜNCHEN 2019 / Martin Rottenkolber

Jetzt sind meine stark kondensierten Tage beim Filmfest München auch schon wieder vorbei und ich befinde mich bereits auf der Heimfahrt. Dieses Mal habe ich es nicht geschafft jeden Abend noch über die Filme zu berichten, wie ich es in Berlin gemacht hatte, ein paar High- und Lowlights möchte ich aber gleich noch herausstellen. Zuerst will ich aber noch ein paar Worte zu meinen Erfahrungen beim Filmfest an sich verlieren.

Zuerst einmal muss festgehalten werden, dass München (und seine Kinosäle) sehr schön sind, so dass der Aufenthalt sehr angenehm war. Gepaart mit dem schönen Wetter hat hier München Berlin schonmal einiges voraus. Was die Organisation angeht sieht das dann allerdings etwas anders aus, gerade wenn man als Pressevertreter anreist. Wie ich bereits im letzten Beitrag geschrieben hatte, sind die Abendvorstellungen in München dem Publikum vorbehalten, so dass man hier mit Akkreditierung in die Röhre schaut. Das ist an sich zwar verständlich, wird aber spätestens dann ärgerlich, wenn man nicht in einen Kinosaal gelassen wird, selbst wenn es dort noch freie Plätze gibt. Das hat in meinem Fall zu der absurden Situation geführt, dass ich zusammen mit Katharina Mihm, der Regisseurin von Mär, die auf das Q&A nach dem Film gewartet hat, vor einem halbleeren Kinosaal stand und mir ihren Film nicht anschauen konnte (immerhin gibt es ein Streamingportal für die Presse, auf dem ich das dann noch nachgeholt habe). Das Ganze hat auch beim Verband der deutschen Filmkritik für einiges an Unmut gesorgt, insbesondere auch weil obendrein dieses Jahr noch ein neues Ticketingsystem eingeführt wurde, das noch einige Kinderkrankheiten hat. Außerdem sind auch viele Pressevertreter nicht in die einzige Pressevorstellung des Gewinners der Goldenen Palme Parasite gekommen, ich habe es aber heute dann noch in eine Vorstellung geschafft.

Nun aber zu dem um was es hier eigentlich gehen soll, nämlich die Filme. Aber auch hier muss ich zuerst einmal mit einem Negativbeispiel anfangen, denn wenn man viele Filme in kurzer Zeit schaut, dann kann es hin und wieder auch mal passieren, dass man sich über einen der Filme ärgert und bei mir war das in München bei Stillstehen der Fall. Elisa Mishto erzählt in ihrem Regiedebüt die Geschichte zweier Frauen, die beide mit familiären Problemen zu kämpfen haben. Julie (gespielt von einer tollen Natalia Belitski, die den Film aber auch nicht retten kann) hat bereits mit sieben Jahren ihre Mutter verloren, die Suizid begangen hat. Sie hat dadurch nachhaltige psychische Probleme, die sich darin äußern, dass sie immer gelbe Reinigungshandschuhe trägt und wahlweise Autos oder Häuser anzündet. Klingt schon mal schlimm genug aber da hört es noch nicht auf: Nachdem sie (mal wieder) ein Auto angezündet hat, landet Julie zum wiederholten Male in der Psychatrie, wo sie auf die neue Pflegerin Agnes (Luisa Gafron) trifft. Letztere ist selbst aber nicht ganz stabil, da ihre fünfjährige Tochter sie hasst und nicht mit ihr reden möchte. Agnes reiht sich damit in eine ganze Reihe von jungen Müttern in Berlin ein, die mit ihrer Mutterrolle nicht klarkommen und deswegen in eine Midlife-Crisis stürzen und ihren Schmerz durch Kiffen betäuben, die ich dieses Jahr bereits in einem deutschen Film gesehen habe. Und wenn man dann mit so einer stereotypen Prämisse in einen Film startet, dann muss man schon ein gutes Drehbuch haben oder eine besonders gute Regisseurin sein, um den Film noch zu retten. Machen gelingt es dann daraus wenigstens noch etwas Interessantes zu machen (Angela Schanelec, Ich war zuhause aber…), andere scheitern aber an der Aufgabe (Mishto aber auch Miriam Bliese, Die Einzelteile der Liebe). Blieses Film war aber dabei höchstens langweilig, nicht aber ärgerlich wie Mishtos Film. Bei ihr kommt dann nämlich zu alledem dazu, dass sie sich dem Thema psychische Erkrankung, das meiner Ansicht nach zumindest eine gewisse Ernsthaftigkeit erfordert, auf eine völlig unpassende Weise annähert. So wimmelt es in ihrer Psychatrie geradezu von Stereotypen (der der imaginäre Zigaretten raucht, die die immer ruft „Ich bin keine Schlampe“ und die die sich die Haare anzündet, weil sie ihre Frisur nicht mehr mag) und die Ärzte und Pflegekräfte scheinen keine Ahnung zu haben, was sie eigentlich mit ihren Patient*innen anfangen sollen. Zwar bin ich auch kein Purist, der immer verlangt, dass ein ernsthaftes Thema auch ernsthaft behandelt werden muss, aber selbst wenn man sich in einer Komödie mit solchen Themen befasst, muss ein gewisser Grad an Reflektion vorhanden sein. Wenn dann am Ende auch noch ein Suizidversuch zum reinen Lacher verkommt, bleibt mir das Lachen im Hals stecken.

Das Positive an solchen Ärgernissen wie Stillstehen ist dann, dass es einem nicht schwer fällt Worte darüber zu verlieren. Das Negative ist, dass diese Worte dann aber drohen die vielen guten Filme zu überlagern, die man gesehen hat – und das war die große Mehrzahl. Ein solches Positivbeispiel ist Christina Ebelts Sterne über uns, mit dem sie beweist, dass der deutsche Film sich mit Problemen von Müttern doch auch auf eine interessante Weise auseinandersetzen kann. Ebelt widmet sich in ihrem Film einem Problem, das in deutschen Großstädten kaum von größerer Relevanz sein könnte, nämlich der Wohnungsnot. In diesem Fall muss die alleinerziehende Melli (Franziska Hartmann) mit ihrem Sohn Ben (Claudio Magno) aufgrund von Schimmelbefalls aus ihrer Wohnung in Köln ausziehen. Trotz ihrer Festanstellung als Flugbegleiterin schafft sie es nicht eine neue Wohnung zu finden, da sie einen Kleinkredit nicht bedienen konnte und deswegen einen Schufa-Eintrag hat. Das führt dazu, dass sie zusammen mit Ben die Nächte in einem Zelt im Wald verbringen muss, da sie auch vom Sozialamt keine Hilfe erhält. Dabei sind die Charaktere in ihrer Entwicklung und ihren Motivationen stehts nachvollziehbar, was Ebelts Erstlingswerk an manchen Stellen herzzerreißend macht.

Hail Satan? © FILMFEST MÜNCHEN 2019

Positiv zu erwähnen ist auch Annika Blendl und Leonie Stades Mockumentary All I never wanted, in der sie sich mit den Arbeitsverhältnissen von Frauen in der Schauspiel-, Mode- und Filmbranche auseinandersetzen. In ihrem Film, der heute in München seine Weltpremiere feiert, erzählen die beiden Regisseurinnen die Geschichten zweier Frauen, nämlich die der jungen Nina (Lida Freudenreich), die ihr Abi hinwirft, um in Mailand Karriere als Model zu machen und die von Mareile Blendl (die Schwester der Regisseurin), die nach einem langem Engagement im Fernsehen, in die bayerische Provinz ans Theater wechselt. Dabei schaffen sie es sehr effektiv zu zeigen, wie stark Frauen in beiden Branchen immer noch von Männern abhängig sind, für die sie sich am besten ausziehen sollten (sei es um mehr Follower zu bekommen oder um dem Kunstanspruch des Theaters gerecht zu werden). Zusammengehalten wird das Ganze von der Metaebene des Filmschaffensprozesses, der zeigt wie auch die Filmemacherinnen von Produzenten abhängig sind, die es nicht immer nur auf den Film abgesehen haben. Dabei ist das Ganze auch noch äußerst unterhaltsam und daher allemal eine Empfehlung wert. Gleiches gilt auch für Penny Lanes dritten Dokumentarfilm Hail Satan?, in dem sie sich dem Phänomen des Satanic Temple widmet, einer im Jahr 2013 gegründeten Organisation, die sich – entgegen des Namens – nicht etwa der Anbetung Satans verschrieben hat (wenn das auch durchaus Spaß machen kann, wie der Film zeigt), sondern vielmehr dem Trollen der klerikalen Rechten in den USA – und das geht nun mal am besten, wenn man vorgibt das Feindbild aller Christ*innen anzubeten. Die Aktionen der Aktivist*innen des Satanic Temples bewegen sich dabei im Spektrum zwischen Performance Art und der Einforderung von Menschenrechten und soll nebenbei vor allem auch Spaß machen. Und so wie sich das dann in Lanes Film darstellt, könnte man fast schon Lust bekommen mitzumachen.

O que arde © FILMFEST MÜNCHEN 2019

Was die Bildsprache eines Filmes angeht, war mein absolutes Highlight der neue Film des galizischen Regisseurs Oliver Laxe O que arde. Wenn man sich für eine 22:30 Vorstellung nochmal auf den Weg ins Kino macht, nachdem man schon den ganzen Tag unterwegs war, fragt man sich schon, ob das jetzt wirklich die richtige Entscheidung war. Um so erfreulicher ist es dann, wenn das Licht ausgeht, die erste Szene beginnt und man sofort weiß: Ja, das war die richtige Entscheidung. Genau so ging es mir bei O que arde, wenn man sich plötzlich in einem dunklen Wald wiederfindet und dann plötzlich Planierraupen auftauchen und Schneisen in den Wald schlagen und das ganze so unwirklich und schön aussieht, dass man es auch für die nächsten neunzig Minuten anschauen könnte. Ganz so geht es dann in Laxes zweitem Langfilm nicht weiter, die Geschichte über einen wegen des Legens eines Waldbrandes Verurteilten, der nach Absitzen seiner Haftstrafe in sein Dorf zurückkehrt lohnt sich aber allemal. Das Gleiche gilt auch für Bong Joon-Hos Parasite, der nicht nur tolle Bilder, sondern auch eine kaum vorhersehbare Geschichte auf die Leinwand bringt. Dass er sich damit die Goldene Palme verdient hat, möchte ich nicht abstreiten, wenn ich auch nicht ganz so restlos begeistert war, wie ein Großteil der Kritik. Interessant ist, dass nach Kore-edas Shoplifters im vergangenen Jahr erneut ein ostasiatischer Film den Hauptpreis in Cannes gewinnt, der sich mit der Schere zwischen Arm und Reich in Japan bzw. Korea auseinandersetzt, was sicherlich auch zeigt, wie drängend dieses Problem in beiden Ländern ist. Zuletzt möchte ich dann noch ein paar Worte über den schon in meinem anderen Artikel angekündigten Making Waves verlieren. Midge Costins Regie-Debüt kann zwar aus filmischer Perspektive nicht mit den beiden vorher genannten mithalten, ihr Portrait der wenig beachteten Seite des Films, nämlich des Tons, und dessen Geschichte ist aber für alle Filminteressierten eine Empfehlung wert, da Costin, die selbst seit langem als Sound-Editor arbeitet, einem die Augen (bzw. vielmehr die Ohren) für die Nuancen des Filmtons öffnet.


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