Die zerrissene Seele eines undurchsichtigen Menschen


Man kennt diese Art von Filmen nur zu Hauf: Superhelden aus dem Hause Marvel und DC, welche immer wieder aufs Neue die Welt gegen scheinbar übermächtige Bösewichte verteidigen müssen. Ganz anders „Joker“ von Todd Philipps: dieser Film geht mehr um den psychischen Verfall eines fast einsamen Mannes als um den Werdegang einer der unberechenbarsten und bekanntesten Bösewichte der Leinwand- und Comicgeschichte.

 

Gotham City kennt jeder Mensch. Eine Stadt, die zum Zeitpunkt des Filmes so gespalten ist wie keine andere auf der Welt, in der Menschen eigentlich friedlich miteinander leben sollten, dies aber nicht tun. In dieser Stadt lebt auch Arthur Fleck, der noch jenseits der 40 Lebensjahre bei seiner Mutter wohnt und einen großen Traum hat: Comedian zu werden. Doch keiner in seinem Umfeld weiß, was wirklich im Tiefsten dieses Menschen vorgeht, so sieht Arthur eigentlich nichts Gutes im Leben, obwohl er einen Berufswunsch hat, der eigentlich nur solches vorsieht. Hinzukommt seine Krankheit, wodurch er bei schmerzlichen oder traurigen Situationen nicht weint, sondern ein markerschütterndes und stark gequältes Lachen von sich gibt. Als auf einmal Wall-Street Mitarbeiter tot in einer U-Bahn gefunden werden, ändert sich das Bild auf die Gesellschaft für den schüchtern wirkenden Mann schlagartig.

Soweit die grobe Geschichte, ohne direkt etwas von ihr im Zentralen verraten zu wollen. Mit „Joker“ hat Todd Phillips eine Origin-Story des legendären DC-Bösewichts geschaffen, bei der man das Gefühl bekommt, dass dies genau so in den Comics passiert sein könnte und die im Gesamten zweifellos als ein Meisterwerk des modernen Films bezeichnet werden kann. Hierbei macht er das, was sich viele vielleicht bei Hitchcock und der Figur Norman Bates aus seinem Magnus Opus „Psycho“ oder Christopher Nolans Version des Joker – legendär verkörpert von Heath Ledger – gewünscht haben: er blickt ganz tief in die Psyche eines nach außen sehr positiv und fröhlich gestimmt wirkenden Mannes, der in Wirklichkeit ein psychisches Wrack seiner selbst ist. Dabei spielt seine ungewöhnliche und seltene Krankheit eine starke Rolle, so wird man durch sein Lachen immer wieder ergriffen und zu Tränen gerührt, da dies für Arthur keine Freude, sondern Schmerz und Qual ausdrückt. Jede Szene, in der er lacht, ist somit nicht von guten Geistern geprägt und verrät dem Zuschauer direkt, wie zerbrochen dieses Individuum wirklich ist. Die Außenwelt, die sich über diesen Freak in diesen Momenten lustig macht oder diese nicht verstehen, wird zum einen wunderbar repräsentiert von den Figuren Thomas Wayne und Arthurs Mutter Penny Fleck. Der eine ist der Vater des zukünftigen dunklen Ritters und hält den abgemagerten Möchtegern-Comedian für eine Lachnummer, die andere kennt nur die guten Seiten ihres Sohnes. Es ist eine Außenwelt, wie wir sie heute immer noch kennen: gespalten und stets im Konflikt mit dem jeweiligen sozialen Gegenüber. Eine Welt auf die, und das stellt der Film sehr schön dar, nicht wirklich stolz sein kann.

Ein weiteres Merkmal ist der starke Einschlag von Regie-Legende Martin Scorsese, so erkennt man in Arthur zum einen den ehemaligen Vietnamkriegssoldaten aus „Taxi Driver“ und zum anderen den aufstrebenden Comedian aus „The King of Comedy“. Gerade bei letztgenanntem Film stellt man fest, dass die Rollen von Showmaster Murray Franklin und Arthur Fleck umgekehrt die von Jerry Langford und Rupert Perkin darstellen. Wer die beiden Filme kennt und mag, wird auch „Joker“ mögen. Diese Filme waren für Phillips die größte Inspirationsquelle überhaupt, um diesen Streifen ins Leben rufen zu können. Was ebenfalls ein großer und wichtiger Faktor für den mit Sicherheit kommenden Erfolg dieses Films darstellt ist die schauspielerische Leistung von Multi-Talent Joaquín Phoenix, unter anderem bekannt aus „Walk The Line“, „Her“, „The Master“, „The Sisters Brothers“ oder auch „Inherent Vice“. Ein Mann, der es in seinen Filmen immer wieder schafft, seine Charaktere auch wirklich zu verkörpern und in sie hinein zu gehen. Dies erkennt man auch bei seiner Perfomance als Arthur Fleck die ohne Wenn und Aber herausragend ist und definitiv den ein oder anderen Preis in der kommenden Award-Season nach sich ziehen wird. Phoenix zeigt uns eindrucksvoll, wie zermürbt und zerrissen das Leben eines Mannes ist, der – wunderbar dargestellt durch die Treppen, die er Tag und Nacht bergauf und -ab geht – ganz unten anfängt und auf unvorhersehbare Art und Weise sowie mit einer unfassbaren Dynamik Teile der Gesellschaft auf seine Seite ziehen kann. Allgemein liebt dieser Schauspieler es, genau solche Rollen zu spielen, da andere Dinge ihn augenscheinlich nicht zu sehr herausfordern würden. Phoenix spielt in diesem Film nicht den Joker, er ist der Joker! Seine Leistung in diesem Streifen kann man zweifellos auf eine Stufe mit der des 2009 verstorbenen Heath Ledger stellen, so entwickelt der Zuschauer mit zunehmender Dauer immer mehr Sympathien für diesen eigenwilligen sowie eigenartigen Charakter. Phoenix‘ Darstellung sowie die Entwicklung seiner Figur erzeugt über die zwei Stunden Laufzeit einen Spannungsbogen, der bis zum Schluss nicht abbricht und uns vor eine von vielen Fragen stellt: Wer sind wir psychisch gesehen wirklich und welchen Platz haben wir in einer Gesellschaft wie dieser heutzutage eigentlich inne?

Überzeugt als Arthur Fleck/Joker auf ganzer Linie: Joaquín Phoenix

Zu guter Letzt seien noch zwei wichtige Elemente hervorzuheben. Dies ist allen voran die großartige Kameraarbeit von Laurence Sher, der uns Bilder präsentiert, die man in diesem Jahr von solch einem Film, der in diesem Jahr den Goldenen Löwen von Venedig gewonnen hatte, so noch nie zu Gesicht bekommen konnte und wie gemacht ist für eine Charakterstudie wie diese, so bleibt sie in den meisten Sequenzen sehr ruhig und beobachtend, um dem Publikum dadurch einen Blick in die menschliche Psyche, in diesem Fall von Arthur Fleck, zu geben. In anderen Momenten wirkt die Kamera dagegen sehr heroisch und klar, obwohl der Hauptcharakter des Films vor allem Ersteres gar nicht sein möchte. Die zweite essenzielle Komponente in „Joker“ bildet die Musik von Hildur Guðnadóttir. Sie wirkt in den meisten Einstellungen zwar ein bisschen zu drüber, jedoch fügt dies der Wirkung der dazugehörigen Szene keinen Mangel zu und lässt sie dadurch umso beeindruckender wirken. Auch mit ihr wirkt die Reise ins Unterbewusstsein wie ein Flug, den man eigentlich nicht unternehmen möchte, da dieser aufgrund des Ich-Besitzers sehr unangenehm daherkommen könnte. „Joker“ will vor allem eins nicht sein: ein Superhelden- bzw. Supervillain-Film, indem es vor Action nur so strotzt. Viel mehr entwickelt er sich durch die psychische, physische und visuelle Gewalt eindrucksvoll zu einem Stand-alone im Genre des Dramas bzw. Psycho-Thrillers, wie man es so zuvor noch nie gesehen hatte.

So klar und erkennbar, um abschließend einen kleinen filmischen Vergleich zu ziehen, die Handlungsmuster der Protagonisten im diesjährigen Cannes-Gewinner „Parasite“ von Bong-Jon Hoo sind, so zerrissen und undurchsichtig ist die Seele von Arthur Fleck in diesem Film, der mit dem erwähnten Katz-und-Maus-Spiel von Hoo zweifellos mithalten kann, was die Qualität des Filmes angeht. Nicht unmöglich, wenn sogar beide Streifen für den Besten Film bei der nächstjährigen Oscar-Verleihung nominiert werden.


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