Die Königin ist tot. Lang lebe die Königin!


Ein Nachruf auf Monica Vitti von Sebastian Petznick.

Monica Vitti ist tot. „Die Königin des italienischen Kinos“, so nannte Italiens Kulturminister sie in seiner Reaktion. Das mag manchen deutschen Kinozuschauer überraschen, denkt man bei den Stars des klassischen italienischen Kinos hierzulande doch eher an Sophia Loren oder Claudia Cardinale. Das mag damit zusammenhängen, dass Monica Vitti bis auf einen kurzen, wenig zufriedenstellenden Ausflug nach Hollywood nie im amerikanischen Film gearbeitet hat. Oder daran, dass sie sich bereits 2003 komplett ins Privatleben zurückzog. Was auch immer der Grund dafür sein mag, er ändert nichts daran, dass Vitti eine der größten europäischen Darstellerinnen des 20. Jahrhunderts war.

Monica Vitti, vom Theater kommend, entsprach nicht dem Bild der temperamentvollen Italienerinnen, das im Kino der 1960er Jahre gerne kultiviert wurde. Im Gegenteil: Ihr Metier war die Introspektion, der Blick ins eigene Selbst, in die Untiefen von Psyche und Identität. Zusammen mit ihrem kongenialen Arbeits- und zeitweiligem Lebenspartner, dem Regisseur Michelangelo Antonioni, drehte sie Filme über menschliche Schicksal in der scheinbar so friedlichen und sorgenfreien Welt des italienischen Wirtschaftswunders. Die Versprechungen von Konsum und Moderne stehen hier auf dem Prüfstand. Immer im Fokus: Monica Vitti, deren Figuren sich durch diese Welt bewegen und mit ihren Zumutungen fertig werden müssen. Ihre Charaktere sind dabei nicht – wie leider bis heute so oft im Kino – das Anhängsel männlicher Figuren, sondern der Kern der Erzählungen. Gerade das Leiden an der Moderne, die Belastung von Sinnentleerung und psychologischem Druck, sind bei ihr zugleich spezifisch weibliche und allgemein menschliche Erfahrungen, die nun aber nicht mehr nur durch die Linse von Männern gesehen wurden. Vittis Figuren existieren nicht bloß in der Ausdeutung durch Männer, sondern sind Figuren eigenen Rechts, mit eigenen Kämpfen und (oft brüchigen) Identitäten. Mit dem Fokus auf die Suche nach Halt und Sinn in einer Welt, die gefühllos erscheint, sind vor allem L’ECLISSE (dt. Liebe 1962) und IL DESERTO ROSSO (dt. Die rote Wüste) Meisterwerke, die bis heute absolut sehenswert sind.

In den späteren Jahren ihrer Karriere wandte sich Monica Vitti zunehmend dem komödiantischen Fach zu und begeisterte noch einmal ein völlig neues Publikum für sich. Fünf Auszeichnungen mit dem italienischen Filmpreis David di Donatello als beste Schauspielerin zeugen davon. 1995 wurde sie in Venedig für ihr Lebenswerk geehrt. Nun ist sie mit 90 Jahren gestorben. Doch in ihren Filmen lebt sie weiter fort.

Die Königin ist tot. Lang lebe die Königin!


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