Der leere Ort der Macht und die Frage der Demokratie – Suspiria von Luca Guadagnino


„Es bleibt die intellektuelle Weigerung, die Freiheit in der als »bürgerlich« definierten Demokratie, die Knechtschaft im Totalitarismus zu entdecken.“ (Claude Lefort)


Claude Lefort, der französische Philosoph, wendet sich in seinem Essay „Die Frage der Demokratie“ bereits 1990 der, zurecht kritisierbaren, positivistischen Veränderung der politischen Philosophie und somit der Transformation des demokratischen Begriffs („Rationalisierung“) zu:

„Wenn Philosophen das Wort »Totalitarismus« hören, fragen sie: Wovon sprechen Sie? Handelt es sich um einen Begriff? Wie würden Sie ihn definieren? Verdeckt denn die Demokratie nicht nur die Beherrschung und Ausbeutung einer Klasse durch die andere, die Vereinheitlichung und Uniformisierung des kollektiven Lebens, den Massenkonformismus? Welches Kriterium liegt Ihrer Unterscheidung von Demokratie und Totalitarismus zugrunde? Vorausgesetzt, die Geschichte hätte ein Ungeheuer gezeugt, was ist die Ursache dieser Mutation? Ist sie ökonomisch-technischer Art, oder hängt sie mit der Entwicklung der Staatsbürokratie zusammen?

Ich staune – wie ist es möglich, daß man einerseits höchst subtil die ontologische Differenz zu handhaben weiß, sich die Wunder der kombinierten Interpretation eines Heidegger, Lacan, Jacobson und Levi-Strauss streitig macht und andererseits in den anmaßendsten Realismus zurückverfällt, sobald es um Politik geht?“1

Weiter heißt es in dem Text von Lefort, dass sich das Politische an sich nicht am politischen Handeln zeigt, sondern in der doppelten Bewegung des Erscheinens und Verbergens der Begründung einer Gesellschaft. Die doppelbödige Tanzschule im geteilten Berlin in Luca Guadagninos Suspiria lässt eine solche Interpretation unweigerlich zu und spätestens als durch einen Tanz von Susie Bannion, der Hauptprotagonistin des Films, die russische Widerständlerin in einem abgeschlossenen (und somit verborgenen) Raum ihr Leben lässt, zeigt sich dieses „generische Prinzip der Konfiguration der Gesamtgesellschaft“ (Lefort): Leben und Tod entscheidet sich in der identitären Demokratie an der Wahlurne.

In Suspiria erfährt der Zuschauer schon zu Beginn, dass ganz Basisdemokratisch im Hause der Tanzschule eine Mutter gewählt wurde, mit einer einfachen Mehrheit darf sie nun über alle Entwicklungen und vor allem über das zur Rettung von Mutter Markos dienende Ritual und dessem nötigen Opfer entscheiden. So leicht lässt sich die leere Stelle der Macht in der Demokratie besetzen. Die Logik der Identifikation geschieht im Film durch den Tanz, von Einstellungen, die im wohl spannendsten Moment des Films, der Aufführung des Stücks „Volk“, ihren Höhepunkt erreicht. Hier fallen alle Vorstellungen einer homogenen und für sich selbst durchsichtigen Gesellschaft in eins, jegliche Teilungen werden (für das Publikum) bestritten.

Die Machtspiele innerhalb der Tanzakademie, die sich versteckt (für die jungen Tänzerinnen anonymisiert) abspielen, zeigen die Herrschaft einer Gleichförmigkeit, die zwar einer Bejahung der Unterschiede (Mutter Markos vs. Mutter Blanc) folgt, aber auch gleichzeitig durch diese wechselseitige Anerkennung wieder vergeht. Was übrig bleibt, zeigt uns Luca Guadagnino anhand der Widerstandskämpfer der RAF, die den formellen Gesichtspunkt des Gesetzes außer Kraft setzen, das Auflösen (bzw. die Entnazifizierung) und damit auch Entanonymisierung erkämpfen. Die demokratische Gesellschaft ist inhärent eine geschichtliche, die im Kontrast zum Totalitarismus, wie er in der Tanzakademie praktiziert wird, die Unbestimmtheit in ihre Form aufnimmt und erhält. Der Totalitarismus versucht diese Unbestimmtheit jederzeit zu bekämpfen. Er behauptet, über das Gesetz seiner Organisation und Entwicklung zu verfügen, und zeichnet sich so in der modernen Welt insgeheim als „geschichtslose Gesellschaft“ ab. Innerhalb der Tanzakademie zeichnet sich derweil jedoch das revolutionäre Moment der Demokratie ab: Der Ort der Macht wird zur Leerstelle. Es wäre nun ein Fehlschluss zu behaupten, die Macht stehe nun innerhalb der Gesellschaft durch das allgemeine Wahlrecht. Deshalb benötigt Guadagnino die Gegenüberstellung der RAF und der Hexenmütter der Tanzakademie. Lefort führt dazu Folgendes aus: „die Rechtfertigung des rein politischen Konflikts schließt auch das Legitimitätsprinzip des gesellschaftlichen Konflikts in all seinen Spielarten ein“.

Das letzte Kapitel des Films, noch vor dem Epilog, zeigt uns die wechselseitige Beziehung zwischen Demokratie und Totalitarismus und lässt aufschlussreiche Gedanken zum Aufstieg der Rechtspopulisten in ganz Europa zu. Susie Bannion eröffnet sich hierbei als „neue“ Mutter Suspiriorum. Sie versucht, genau wie der Totalitarismus, eine Gewissheit, eine natürliche Ordnung, die sich durch sich selbst legitimiert, zu eröffnen. Die Demokratie, die letztlich alle Grundlagen der Gewissheit auflöst, hat daher auch immer inhärent die Tendenz, diese „Leerstelle der Gewissheit“ unterschiedlich aufzufüllen. Diese Repräsentation kann jedoch nur symbolisch sein, da es konstitutiv für eine Demokratie nur einen symbolischen Herrscher geben kann. Sobald Susie im Film ihre Macht erhält und sie als eine universale Position deklariert, muss sie zu gewalttätigen Mitteln greifen, die ihre Illegitimität nur noch deutlicher unterstreicht. Im Film ist es dann eine Identität, ein „Volk“, dass sich der Leerstelle als neuen Inhalt anbiedert. Insofern unterscheidet sich Susie Bannion, oder Mutter Suspiriorum, nicht von den alten Müttern. Auch sie nutzt das Blutbad, die Vernichtung jeglicher Opposition, um ihre Machtposition zu sichern. Oliver Marcharts Lesart von Claude Leforts politischer Theorie bringt auf den Punkt, was Guadagnino am Ende von Suspiria in der letzten Sequenz zeigt, in der die Handlung einen Zeitsprung in die Gegenwart macht: „Demokratie ist nicht das gänzlich andere als Totalitarismus, sondern enthält Totalitarismus immer schon als Tendenz. […] Demokratie wird immer von totalitären Momenten durchzogen sein“2.

„There is no such thing as woman (il n’y a pas La femme)“ sagte einmal Jacques Lacan, der bekannte Psychoanalytiker, in einem seiner Seminare. Guadagnino wandelt dies in Suspiria um in „There is no such thing as man“ mit einem Female-only cast. Von Schuld ist die Rede, auch von Scham, aber niemals von Vergebung oder Sühne. Zwischen völkischen Tänzen, die uns eine reine (homogene) Identität vorgaukeln sollen, aber reale und tödliche Konsequenzen für die Menschen haben, werden Erinnerungsfetzen durch Albträume ersetzt, ganz wie es nur die Ideologie vermag. Am Ende, wenn der einzige Mann in der Geschichte (gespielt von Tilda Swinton) der Beweisträger dieser fürchterlichen „Neuerung des Bösen“ sein soll, aber kurz danach von seinem Leid erlöst wird, stellt Guadagnino die wohl brisanteste Frage des Films: Wie haben wir (Deutschen) es eigentlich mit der Erinnerungskultur? Ist sie eigentlich selbst nur noch ideologisiert und ritualisiert, und sehen wir auch deshalb wieder ein Erstarken des autoritären Nationalradikalismus? Die Demokratie schützt uns nämlich nicht aus sich selbst heraus, wie hoffentlich klar geworden sein sollte. Schließlich, und das ist die große Gefahr einer autoritären nationalradikalen Politik, ist das mit sich selbst identische Volk ein Phantasma, sodass, um mit Claude Lefort (bzw. Oliver Flügel-Martinsen) zu sprechen, „solche Hoffnungen, die feste Einheit eines Kollektivs zu begründen, letztlich grundlos bleiben müssen. Deswegen […] können Versuche, eine einheitliche Identität des Volkes im Singular herzustellen, zwangsläufig nur eine gewaltsame Form annehmen“3.

1 Lefort, Claude. Die Frage der Demokratie. Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie. Suhrkamp, Berlin. 1990: 281-297.

2 Marchart, Oliver. Die politische Theorie des zivilgesellschaftlichen Republikanismus: Claude Lefort und Marcel Gauchet. Politische Theorien der Gegenwart. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. 1999: 119-142.

3 Flügel-Martinsen Oliver, Postidentitäre Demokratie. Mittelweg 36. Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung. 2018: 10-30.

 

Dieser Text ist einer Erweiterung der Kurzkritik, die vor einem Jahr im High Noon erschienen ist: Kurzkritiken der Woche 2

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