Mit Django eröffnete die diesjährige Berlinale – ein gut gewählter Einstiegsfilm, war er unter all den Wettbewerbsfilmen mit wenigen Ausnahmen (der französischen Koproduktion Félicité und dem chinesischen Animationsfilm Have a Nice Day) wohl der am wenigsten anstrengendste. Er erzählt davon, wie der berühmte Jazzmusiker Django Reinhard (Reda Kateb) sich und seine Familie vor den Nazis zu retten versucht. Tolle Musikszenen gibt es hier, die eindrücklichste ganz am Schluss, wo Django ein Ensemble in der Kirche dirigiert – ohne Gitarre. Die hat er kurz davor zerbrochen, als er in der berührendsten Szene sie hektisch im Schnee zu vergraben versucht. Getragen wird der Film durch die bezeichnende schauspielerische Leistung Reda Katebs, der mit seiner dominanten, leicht arroganten Ausstrahlung einen Django verkörpert, mit dem man trotz Ecken und Kanten sympathisiert, weil man merkt, dass er das Herz am rechten Fleck hat.
Der amerikanische The Dinner um einen furiosen Familieneklat hat viel gemein mit Sally Potters The Party, ein gesellschaftssatirisches Kammerspiel in schwarz-weiß. Beide Drehbücher sprudeln vor spitzen Bemerkungen und aggressiven Spannungen zwischen den Figuren. The Party ist zwar leichtmütiger als The Dinner, wo irgendwann klar wird, dass der zynische Paul (Steve Coogan) eigentlich psychische Probleme hat – nach beiden Filmen aber fühlt man sich etwas totgeredet. Was sich bei Potters Film als kurzweiligen Spaß ankündigt, ist auf Dauer (trotz der kurzen 71 Minuten) dann doch ermüdend, wenn sich die mit drilligen schwangere Jinny zum fünften Mal übergibt und der esotherische Gottfried (Bruno Ganz) die siebzehnte Faselei von sich gibt.
In Félicité, Pokot, A Fantastic Woman und On The Beach at Night Alone stehen Frauen im Vordergrund. Neben A Fantastic Woman (Kritik HIER) ist auch Alain Gomis’ Félicité gelungen, der die Sängerin in ihrem Alltag im Kongo begleitet. Sie ist alleinerziehend, und als ihr Sohn einen Unfall hat, sieht sie sich vor die Herausforderung gestellt, das Geld für seine Operation aufzutreiben. Wenngleich der Plot ab der zweiten Hälfte an Klarheit verliert, ist man fasziniert von dieser Frau, die so stolz, stark und verletzlich zugleich ist. Es ist schön, ihr dabei zuzusehen, wie sie mit der Zeit weniger distanziert und immer menschlicher wird, und die angestrengt gerunzelte Stirn sich irgendwann entspannt. Zwar könnte man die Tatsache, dass sie diese Entspanntheit erst durch einen Mann, Tabu, erreicht, als nicht gerade feministisch deuten, aber man kann es auch weniger drastisch sehen: Sie lernt, dass man nicht alles alleine schaffen muss und Hilfe annehmen darf.
In dem polnischen Beitrag Pokot hat man es mit der starken weiblichen Hauptfigur etwas zu gut gemeint, sodass die alte, in der Provinz lebende Agnieszka eher als Karikatur daherkommt, wenn sie vor der Polizei ausrastet und beteuert, die Tiere seien für die jüngsten Morde in der Gegend verantwortlich – weil sie sich an den Jägern rächen wollten. Auch insgesamt trägt der Film zu dick auf, etwa wenn der nerdige Dyzio mit einer Tastenkombination das gesamte Licht im Dorf löscht, oder wenn in jeder zweiten Einstellung ein Paar Rehaugen verdächtig in der Dunkelheit aufblitzen.
Der koreanische Regisseur Hong Sangsoo, dessen Film Right Now, Wrong Then erst im Dezember im Kino zu sehen war, ist mit seinem neuen Werk On the Beach at Night Alone im Wettbewerb vertreten. Er begleitet die Schauspielerin Younghee (in beiden Filmen die Hauptrolle: Kim Minhee), wie sie nach Hamburg reist, vergeblich auf ihre verheiratete Affäre, einen Regisseur, wartet, und nach Korea zurückkehrt, wo sie alte Freunde wiedertrifft. Während all dem sucht sie sich selbst und ihre Funktion im Leben und zeigt erst als sie betrunken ist, wie verloren und frustriert sie eigentlich ist. Leider mangelt es dem Drehbuch an interessanten Dialogen – wenn sich Younghee und Jeeyoung in einer gefühlt niemals endenden Szene darüber unterhalten, ob der Regisseur nun kommen mag oder nicht, dann ist sogar der eigene Alltag spannender. Auch fehlt hier die Identifikationsperson – weder die Protagonistin noch einer der anderen Charaktere kommen sympathisch rüber; sie alle sind bizarr, aber nicht so bizarr, dass man das Gefühl hat, es sei gewollt. Sangsoo beschäftigt sich gerne mit der Beziehung zwischen Mann und Frau; was in Right Now, Wrong Then realistisch und gut beobachtet ist, aber in On the Beach den nötigen Pepp vermisst.
Die deutschen Beiträge Wilde Maus und Helle Nächte könnten unterschiedlicher nicht sein: Der erste eine gelungene Komödie in österreichischer Manier (mit einem brüllend komischen Georg Friedrich), der zweite ein hoch melancholisches Road Movie mit dem Tschick-Darsteller Tristan Göbel und ebenfalls Georg Friedrich. Beides sind Beziehungsgeschichten: In Josef Haders Regiedebüt Wilde Maus dreht sich um einen Midlifecrisler (auch gespielt von Josef Hader), der seiner Frau verschweigt, dass ihm gekündigt wurde, während die sich mit Sex-Stellungen befasst, die am ehesten zur Befruchtung führen. In Helle Nächte ist es eine Vater-Sohn-Beziehung, die vor dem Hintergrund norwegischer Landschaften zerlegt wird. Den wenig originellen Plot gleichen auch die Dialoge nicht aus, die hauptsächlich von langem Schweigen geprägt sind. Man versteht, dass die Beziehung zwischen Sohn und dem größtenteils von dessen Leben abwesenden Vater eine schwierige ist, aber Neues erzählt der Film einem nicht.
Originell im Plot ist die japanisch-chinesische Koproduktion Mr. Long, die von einem Auftragskiller handelt, der plötzlich ein ganz anderes Leben einschlägt: als Streetfood-Koch in einer verarmten Gegend Japans. Die Liebesgeschichte, die sich dann ankündigt, schadet dem Film aber und lenkt ihn in eine kitschige Richtung. Da ist der chinesische Animationsfilm Have a Nice Day die bessere Alternative: kurzweilig, pointiert und zeitweise satirisch spinnt er eine düster-komische Crime Story mit Film Noir Elementen. Besonders Kommentare zum Brexit und eine Radiosequenz mit einem Ausschnitt einer Rede Trumps sorgten für Lacher – auch wenn sie im Hals stecken blieben.
Einer der wenigen politischen Beiträge war Aki Kaurismäkis The Other Side of Hope um einen syrischen Flüchtling, der in Finnland Asyl beantragt, abgelehnt wird und dann illegal über die Runden kommen muss. Auf 35 Millimeter gefilmt überzeugen hier natürlich die Bilder, die der finnische Regisseur gerne in Pastellfarben hält. Mit seinem gewohnt lakonischem Unterton weist Kaurismäki auf Mängel im System hin, tut dies aber ohne Moralpredigt. Zwischen all der Skurrilität aber kann man sich sicher sein, dass es ihm bei der Sache ernst ist.
Den Abschluss machte Calin Peter Netzers Ana, mon Amour – wie könnte es anders sein – ein Beziehungsdrama. Ana leidet an Panikattacken, die die Beziehung zwischen ihr und Toma stark beeinflussen. Doch als es Ana irgendwann besser geht, kommt Toma mit ihrer neu erlangten Selbstständigkeit nicht zurecht – er hat sich für sie aufgeopfert, nur damit sie ihn jetzt scheinbar nicht mehr braucht. Netzer gewann 2013 mit Mutter & Sohn den Goldenen Bären und erzählt mit seinem aktuellen Wettbewerbsbeitrag eine interessante Geschichte über das Machtgefälle innerhalb einer Beziehung. Insgesamt aber wurde das Thema der Beziehungskonflikte im Wettbewerb etwas überstrapaziert – man geht raus aus diesem letzten Film und würde jetzt gerne eine Tierdoku auf arte schauen. Weil die Menschen auf der Leinwand doch sehr angestrengt haben.