Berlinale 2020 – Schatten über Berlin


Wie in jedem Jahr reisen dieser Tage tausende Filmschaffende und -begeisterte in die Bundeshauptstadt um 10 Tage lang Filmwerke aus aller Welt zu feiern. Doch die Eröffnungsgala am Donnerstag stand zunächst im Zeichen der Trauer und Anteilnahme. Angesichts der Mordanschläge in Hanau wurden die offiziellen Feierlichkeiten im Berlinale-Palast für eine Schweigeminute unterbrochen und auch die Eröffnungsrede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters kommentierte die angespannte politische Lage und warnt vor rassistischen und nationalistischen Tendenzen in Deutschland.

Dabei konnte man schon in den vergangenen Wochen ähnliche Schlagworte im Zusammenhang mit dem Filmfestival lesen. Nach Recherchen der Wochenzeitung Die Zeit ist im Januar ein Skandal um die Nazivergangenheit der Berlinale Mitgründers und Filmhistorikers Alfred Bauer an die Öffentlichkeit gedrungen. Bauer, der nach Entstehung des Festivals 1951 bis 1976 die Festivalleitung übernommen hat, war als NSDAP- und SA-Mitglied ab 1942 in der Reichsfilmkammer angestellt, wo er unter Leitung von Joseph Goebbels eine maßgebliche Funktion in der nationalsozialistischen Filmpropaganda ausgeübt hatte. Als Reaktion auf dieses düstere Kapitel der Berlinale-Geschichte wurde der Alfred-Bauer-Preis für „neue Perspektiven der Filmkunst“ in diesem Jahr ausgesetzt.

Überschattet durch diese furchtbaren Ereignisse in Hanau und der Kontroverse um die Nazivergangenheit Bauers wirkt das Filmfestival zunächst wie eine Eskapismus-Großveranstaltung – ein Vorwurf mit dem sich das Kino schon seit den frühesten Anfängen konfrontiert sieht. In diesem Licht steht auch der Eröffnungsfilm „My Salinger Year“, der in den ersten Kritiken von vielen als relativ belangloses Unterhaltungskino dargestellt wird. Statt politischem Kommentar und kontroversen Inhalten erscheint der Film über eine junge Frau, die in den 90er Jahren die Fanpost für den Kultautor J.D. Salinger beantworten muss, als eher unproblematisch und oberflächlich.

Die Wahl als Eröffnungsfilm wirkt zunächst untypisch für Carlo Chatrian, der in diesem Jahr zusammen mit Mariette Rissenbeek die Leitung der Berlinale übernommen hat. Und dabei wird Chatrian, der mehrere Jahre das berühmte Internationale Filmfestival von Locarno prägend mitgestaltet hat, eigentlich ein hoher künstlerischer Anspruch nachgesagt, was mitunter auch zu besorgten Äußerungen über die Ausrichtung der Berlinale geführt hat. Denn mit dem Ruf als riesiges „Besucherfestival“ mit vielen öffentlichen Filmvorführungen und begleitenden Veranstaltungen steht die Berlinale seit Jahren in der Kritik im Vergleich mit den „kleineren“ Pendants in Cannes und Locarno.

Scheinbar ist den OrganisatorInnen die Publikumswirkung des Eröffnungsfilms jedoch durchaus bewusst gewesen, denn „My Salinger Year“ läuft außerhalb des Wettbewerbs um den renommierten Goldenen Bären für den besten Film, der wie immer im Herzen der Berlinale steht. In diesem Jahr werden in dieser Sektion 18 Filme gezeigt, darunter auch der deutsche Film „Berlin, Alexanderplatz“, der zentrale Themen von Döblins Klassiker in das moderne Berliner Nachtleben überträgt. Die Chancen den Film tatsächlich am Alex sehen zu können stehen hier sogar relativ gut, da die Filmvorführungen der Berlinale wie immer quer in der Stadt verteilt sind.

Ein weiterer persönlicher Höhepunkt des Wettbewerbs stellt für mich Kelly Reichhardts „First Cow“ dar, der in der unbesiedelten Wildnis Oregons während der amerikanischen Pionierzeit spielt. Wer Reichhardts beeindruckende Pionier-Odyssey „Meek’s Cutoff“ aus dem Jahr 2010 gesehen hat, weiß auf welche bildgewaltige Szenen man sich einstellen kann, auch wenn die Regisseurin dieses mal leider auf Michelle Williams als Hauptdarstellerin verzichten muss.

Damit seien nur zwei der insgesamt 340 Filme aus 71 Ländern genannt, die mich in der kommenden Woche auf der Berlinale erwarten. Hierbei freue ich mich vor allem auf die vielen Überraschungen, die das Programm mit Sicherheit bereithalten wird. Denn eine wirklich angenehme Besonderheit eines Filmfestivals ist es, völlig unvoreingenommen und ohne Trailervorschau ins Kino zu marschieren und die Eindrücke aus aller Welt auf sich wirken lassen zu können. An dieser Stelle werde ich bis zum Ende des Festivals mehr oder weniger regelmäßig über meine Eindrücke berichten.

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