ACADEMY AWARDS | Neun Filme, die den Oscar als Bester fremdsprachiger Film verdienen


Am 26. Februar 2017 werden in Los Angeles zum 89. Mal die Academy Awards für die besten Filme des laufendes Jahres vergeben werden. Eine besondere Stellung nimmt dabei die Kategorie des Besten nicht-englischsprachigen Films ein, die das weltweite Filmschaffen auf die wohl prestigeträchtigste Bühne der Branche holt, um es auch weit über die Kennergrenzen hinaus bekannt zu machen.

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© Greg Hernandez
© Greg Hernandez

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Heute endete die Einreichungsfrist für alle Filmnationen, die den nächsten Oscar für den Besten fremdsprachigen Film, der zwischen dem 1. Oktober 2015 und 30. September diesen Jahres in den heimischen Kinos angelaufen ist, abräumen wollen. Wie immer wird der Academy die anschließende Auswahl nicht leicht gemacht – dieses Jahr jedoch war das bisherige Niveau des internationalen Filmschaffens, sichtbar wieder vor allem auf den Festivals, überraschend hoch und zeichnete sich bereits Anfang des Jahres auf der Berlinale ungewöhnlich deutlich ab.

In den vergangenen Tagen kamen noch die Lieblinge von den gerade zu Ende gegangenen Filmfestivals aus Venedig, ältestes seiner Art und bis heute weltweit renommiert, sowie aus Toronto dazu, das traditionell im Anschluss an dieses stattfindet und, obwohl nicht einmal A-Festival, vielen Kennern als die Nummer zwei der renommiertesten Filmfestivals gleich hinter Cannes gilt. Nun ist die Liste der insgesamt 85 Einreichungen aus aller Welt vollständig und es sind auch und vor allem wieder Nischen- und Erstlingswerke, die erfreulicherweise ins Rennen um die wohl bekannteste Filmtrophäe gehen werden.

Brasiliens anhaltende politische Krise überschattete indes auch seine Oscar-Auswahl, denn der zwischenzeitliche Favorit, Kleber Mendonça Filhos Cannes-Erfolg „Aquarius“, bei dessen Premiere die Crew für einen mittelschweren Eklat sorgte, als sie gegen die Amtsenthebung von Dilma Rousseff protestierte, musste letztlich David Schurmanns „Little Secret“ weichen, der bisher auf sehr gemischte Kritiken stieß. Die kleine, äußerst gelungene Produktion „Mãe só há uma” (Don‘t Call Me Son) von Anna Muylaert – zwischenzeitlich als Ausweichfilm gehandelt und eine echte Perle der diesjährigen Berlinale – wäre jedenfalls ein ebenso würdiger Kandidat gewesen wie Kleber Mendonça Filhos hochgelobte Charakterstudie.

Im Folgenden jene neun eindrucksvollsten Filme, die verdiente Chancen haben, am 15. Dezember die Plätze der vorläufigen Shortlist einzunehmen, aus der dann am 24. Januar die fünf Finalisten verkündet werden. Sie kommen diesmal aus Mittel- und (Süd-)Osteuropa, die vergangene Male bereits mit „Ida“ und „Saul fia“ abgeräumt hatten, sowie aus dem filmbegeisterten Südkorea und dem jungen tunesischen Kino:

 

1. TONI ERDMANN (Deutschland)

Maren Ade

Selten gab es mitten im Wettbewerbsgeschehen von Cannes auf einmal einen so klaren Publikums- und Pressefavoriten um die Goldene Palme als Maren Ades meisterliches Familiendrama um die Entfremdung von Vater und Tochter als in diesem Jahr. Der nachhaltige Erfolg von „Toni Erdmann“ überraschten nicht nur die Macher, sondern auch die internationale Filmbranche, die dem hiesigen Filmschaffen seit vielen Jahren eine anhaltende, oft genug zutreffende, aber lange nicht immer berechtigte Leidenschaftslosigkeit vorwirft. (Ausführliche Kritik)

 

2. S ONE STRANE (Kroatien)

Zrinko Ogresta

Ebenfalls als absoluter Außenseiter, der sich trotz spärlich anmutender Story bei näherer Betrachtung als brillante Filmkunst entpuppt, begeisterte die kroatisch-serbische Produktion „S One Strane“ auf der diesjährigen Berlinale. In der Sektion Panorama, die bereits früher den ein oder anderen Oscar-Kandidaten hervorbrachte („The Broken Circle Breakdown“, „The Act of Killing“) bewies der erfahrene kroatische Filmemacher Zrinko Ogresta mit einem geschickt fokussierten Drehbuch einschließlich grandiosem Ende über die langen Schatten des Bosnienkrieges sowie mit einfallsreicher, poetischer Kameraführung ein Mal mehr, dass auch das Kino des Balkans an der Weltspitze mitspielen kann.

 

3. VOR DER MORGENRÖTE (Österreich)

Maria Schrader

Berlin ist nicht nur ein Mal im Jahr zur Berlinale Schauplatz für Premieren hoher Filmqualitäten, sondern kann mit einer traditionsreichen, breit aufgestellten Kinoszene aufwarten. Im Mai feierte im Delphi Filmpalast Maria Schraders großartig auf den Punkt komponierter und unter anderem mit Josef Hader genial besetzter Film über Stefan Zweigs Amerikajahre in der tief gespaltenen Exilgemeinde während der NS-Zeit Premiere, der im August auch von einem breiten internationalen Publikum des Festival del film Locarno sehr positiv aufgenommen wurde. Die unscheinbare österreichisch-deutsch-französische Produktion war zwischenzeitlich als deutsche Einreichung gehandelt worden, doch entschied man sich dort letztlich richtigerweise für den Sensationserfolg „Toni Erdmann“, sodass am Ende vielleicht zwei der derzeit hoffnungsvollsten deutschen Regisseurinnen um die Trophäe konkurrieren werden.

 

4. ELLE (Frankreich)

Paul Verhoeven

Isabelle Huppert gehört zu den besten Schauspielerinnen ihrer Generation, die unerschrocken auch bisweilen schwer erträgliche Rollen exzellent umzusetzen weiß. Der niederländische Altmeister Paul Verhoeven legte im Mai nach zehn Jahren Sendepause seinen ersten französischsprachigen Film mit Huppert in der kontroversen Hauptrolle vor. „Elle“, der sich unter anderem gegen François Ozons beeindruckendes, auf 35 Millimeter gedrehtes Post-Weltkriegsdrama „Frantz“ als Frankreich-Kandidat durchsetzen konnte, verstörte Publikum und Presse gleichermaßen und ist doch vielleicht einer der besten und ehrlichsten Filme über Macht- und Opferrollen.

 

5. NERUDA (Chile)

Pablo Larraín

Pablo Larraín bescherte seinem Heimatland Chile 2013 zum ersten Mal in seiner Filmgeschichte eine Nominierung für den Besten fremdsprachigen Film. Seit seinem technisch einfallsreichem und mitreißendem Drama um das Plebiszit gegen eine weitere Amtszeit von Augusto Pinochet – „No!“ – zählt Larraín zu den gefragtesten lateinamerikanischen Filmemachern. Für sein Porträt des kommunistischen Dichters Pablo Neruda greift Larraín auf seine Stammdarsteller zurück und verleiht der Flucht des späteren Literaturnobelpreisträgers im Jahr 1948 ebenso zauberhaft poetischen wie komödiantischen Ausdruck. (Ausführliche Kritik)

 

6. SIERANEVADA (Rumänien)

Cristi Puiu

Seit Jahren räumt die junge Filmnation Rumänien international immer wieder zurecht Preise ab – zuletzt den Spezialpreis der Jury für „Scarred Hearts“ von Radu Jude (co-produziert von Maren Ade) beim 69. Festival del Film Locarno – obwohl es im Land nur wenige Kinostätten und so gut wie keine Filmförderung gibt. Das Rennen um die Einreichung für den nicht-englischsprachigen Oscar entschied das Drama „Sieranevada“ von Cristi Puiu für sich, der mit seinem ebenfalls im Zuge der „rumänischen Welle“ erfolgreich etablierten Landsmann Cristian Mungiu („Bacalaureat“) im diesjährigen Wettbewerb von Cannes um die Goldene Palme konkurrierte. Für Rumänien wäre die Wahl des Dramas um eine fiebrige Familienzusammenkunft die erste Nominierung für eine Oscar.

 

7. MA VIE DE COURGETTE (Schweiz)

Claude Barras

Sein beachtliches Debüt legte der Schweizer Filmemacher Claude Barras dieses Jahr in der unabhängigen Quinzaine Des Réalisateurs vor und avancierte schnell zum echten Geheimtipp: Die kulleräugige Stop-Motion-Animation um einen zehnjährigen Waisenjungen setzt außergewöhnlich eigene Maßstäbe und erzählt in realistischer und überraschend universeller Art von Kindern, in deren Extremsituationen versetzt selbst der ein oder andere bereits erwachsene Mensch schier verzweifeln würde.

 

8. MIL-JEONG (Südkorea)

Kim Jee-woon

Bereits vor seiner offiziellen Premiere in Venedig und kurz darauf in Toronto stand der neue Genrefilm des neben Park Chan-wook und Kim Ki-duk international gefragtesten koreanischen Filmemachers Kim Jee-woon als Oscar-Kandidat fest. Sein ästhetischer Spionage-Thriller im von Japan annektierten Korea der 1920er Jahre entspinnt ebenso unterhaltsam wie die Konzentration herausfordernd in atemloser Dramaturgie ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel von Besatzern und furchtlosen Widerständlern.

 

9. À PEINE J’OUVRE LES YEUX (Tunesien)

Leyla Bouzid

Einer der stärksten Filme des vergangenen Jahrgangs schließlich erobert momentan von Tunesien aus die internationalen Lichtspielhäuser: Der erste Langfilm der Regisseurin Leyla Bouzid begeisterte im letzten Jahr auf dem Filmfestival Toronto mit einer präzise beobachteten Coming-of-Age-Geschichte einer gerade erst entdeckten Freiheit: Am Vorabend der Revolution bahnt sich der Lebenshunger einer jungen Frau mit viel musikalischer Leidenschaft ihren Weg durch elterliche Erwartungen und staatlich verordnetem Stillhalten.

 

Text: Antje Lossin, 03.10.2016

 

Nachtrag, 12.10.2016: Der tunesische Beitrag ist nicht zur offiziellen Einreichung zugelassen worden. Alle nun zur Auswahl stehenden Kandidaten für den 60. Oscar des besten nicht-englischsprachigen Films gibt’s hier.

 


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