# 9 Oberhausen: Die Wettbewerbe – Tendenzen, Entdeckungen, bekannte Gesichter


Bei den Oberhausener Kurzfilmtagen 2014 konkurrierten im Internationalen Wettbewerb 61 Beiträge, im Deutschen Wettbewerb 21 Beiträge miteinander. Trotz der festivaltypischen Bandbreite entstand an einigen Stellen der Eindruck, dass im internationalen Programm politisch engagierte Filme und beobachtend-dokumentarische Formate häufiger anzutreffen waren. Die in Deutschland entstandenen Produktionen tendierten häufiger zu fiktiven Narrationen und psychologischen Innensichten auf das In-der-Welt-sein.

Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, so der mit dem 3sat-Förderpreis ausgezeichnete deutsche Beitrag IMRAAN, C/O CARROM CLUB“ von Udita Bhargava, der den Alltag eines Jungen in einem Spielclub im Slum in Mumbai zeigt. Er schildert damit die ausweglose, in Drogen und Armut gefangene Situation der Jungen und Männer im Club, lässt dabei aber gleichzeitig die Alltäglichkeit der Situation und Träume seiner Protagonisten durchscheinen. Völlig entgegengesetzt geht der mit dem Preis für den besten Beitrag des Deutschen Wettbewerbs prämierte Film SIEBEN MAL AM TAG BEKLAGEN WIR UNSER LOS UND NACHTS STEHEN WIR AUF, UM NICHT ZU TRÄUMEN von Susann Maria Hempel vor: Ihre Verarbeitung von Missbrauchsfällen in der Nachwendezeit nähert sich dem Thema, indem sie die Traumatisierungen als eine als Albtraum-Landschaft gestaltete Puppenstubenumgebung inszeniert und damit eine berührende und gleichzeitig unsentimentale Sprache für das Nichtzeigbare findet.

Sieben Mal Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen © Susann Maria Hempel

 

Besonders überzeugte im Deutschen Wettbewerb ES GIBT BILDER, WEIL ES WÄNDE GIBT der Österreicherin Sasha Pirkner. Er stellt metaphysische Fragen zur Existenz des Raums und dem Menschen darin, den künstlichen Begrenzungen und Räumen, die der Mensch schafft. Die Kamera beobachtet den Raum und die Gegenstände darin genau, zusammen mit dem aus dem Off eingesprochenen Text stellt sich dabei eine poetische, fast schon meditative Stimmung ein.

Ähnlich meditativ, wenn auch durch eine völlig andere Form und Sprache wirkte SONNTAG NULL von Jochen Kuhn. In einer Art Selbstgespräch, dargestellt durch ineinander übergehende, in Grautönen gehaltene Malereien, beschreibt sein Protagonist den Verlauf eines verlorenen, unausweichlich gleich verlaufenden Sonntags und damit das unausweichlich verlaufende Leben an sich und die irritierten Erwartungen daran. Wie in einem Traum bewegt sich der Gedankenfluss von Desillusion zu Sarkasmus, Leichtigkeit und Schwere, Fiktion und Abstraktion auf die Conditio humana liegen dicht beieinander. Dabei übt der Film einen eigenwilligen Sog aus und auf den Zuschauer übertragen die traumartigen Bilder das Gefühl einer in Watte gepackten Welt.

Eine ganz eigene Sprache fand MY THROAT, MY AIR der Künstlerin Loretta Fahrenholz, die darin ein alternatives Bild von Familie entwarf. Der Film bewegt sich zwischen Fiktion und Dokumentation, Normalität und Horror, Rollen- und Machtspielen und gewöhnlichem Zusammenleben. Er wirkt damit spannungsvoll, befremdend und unterhaltend zugleich. Im Zentrum steht zudem die Frage nach den unterschiedlichen Selbstbildern und Wahrnehmungen der Kinder und der Erwachsenen.

Unter den internationalen Einreichungen fielen vor allem politisch engagierte und gesellschafts- bzw. sozialkritische Filme positiv auf. THRENODY FOR THE VICITMS OF MARIKANA des südafrikanischen Filmemachers Aryan Kaganof, dem das Festival auch eine Retrospektive widmete, war wie viele seiner Filme kein leicht verdauliches Stück, aber ein wirkungsvolles. So wurde er auch mit einer Lobenden Erwähnung der Internationalen Jury bedacht. Kaganof stellte verwackeltes found footage eines miner strikes in Südafrika, bei dem die Ordnungs- und Staatsmacht brutal gegen die Streikenden vorging, Bildern des klassischen Konzertbetriebs und Perspektiven des akademischen Betriebs auf Gesellschaft, Raum und Kultur in Südafrika gegenüber. In der für Karagan typischen Materialität und Montage der Bilder und ihrer perspektivischen und musikalischen Gestaltung entsteht eine ausdrucksstarke Kritik am Überdauern von Ideologien und Mechanismen der Selbsterhaltung von Macht.

Auch der mit dem Hauptpreis der Stadt Oberhausen prämierte Film GANGSTERS BACKSTAGE (Frankreich/Südafrika) von Teboho Edkins nähert sich den Abgründen und Außenseitern einer Gesellschaft, indem er das Milieu Kapstädter Gangster erkundet. Es gelingt dem Filmemacher, sich in Interviews Menschen zu nähern, die sich selbst als Gangster definieren oder im Milieu bewegen – zum Teil aus eigener Überzeugung, zum Teil weil ihr Lebensweg und äußere Umstände sie dorthin brachten. Er nähert sich weiter dem Phänomen des gangsterism, den Lebensgeschichten voller Risikobereitschaft und äußerer Ängste indem er seine Interviewpartner einem leeren Theaterraum aussetzt, auf dessen Boden die Umrisse einer Gefängniszelle angebracht sind. Damit wird dem im Interview vermittelten Selbstbild der Gangster ein weiteres Bild hinzugefügt. Beobachtet man die Protagonisten in der fiktiven Zelle, stellt sich auch ein Gefühl der Abwesenheit von Freiheit und Perspektiven ein. Gleichzeitig erscheint der Versuch einer Erklärung und eines Verstehens des Gangsterseins selbst als Fiktion.

Gangster Backstage, Teboho Edkins, Frankreich/Südafrika 2013 © Teboho Edkins

 

In Erinnerung geblieben sind zwei weitere internationale Filme: TIME AND THE WAVE von William Raban (Großbritannien), eine Größe der Filmavantgarde in Großbritannien und in Oberhausen auch vertreten im Themen-Programm FILM WITHOUT FILM entwirft ein scharfes Portrait Englands im Spätkapitalismus. Raban spannt den Bogen anhand von Londoner Großereignissen des Jahrs 2013 – von der Eröffnung einer großen Shoppingmall über dem Wetter trotzende Zelte der Occupy-Bewegung zum Thronjubiläum der Queen und dem Staatsbegräbnis der umstrittenen Mutter der liberalen Wirtschaftsordnung, Margaret Thatcher. Dank der Bildsprache und dem bedachten Rhythmus der Bilder gerät der Film nie zu einer flachen Kapitalismuskritik. Mit seiner distanzierten, trotzdem Position beziehenden Perspektive, zeigt er die Versuche einer Gesellschaft, ihre Bedürfnisse nach Bedeutung und Gemeinschaft zu erfüllen. Weitgehend überlässt er dabei dem Zuschauer die Konstruktion einer bedeutsamen Lesart der vorgeführten Bilder.

EXTREME FUGUE FOR ONE VOICE. LAIMA der Lettin Ieva Epnere zeigt nicht viel und entwickelt doch eine ungemeine Kraft: Die Kamera nähert sich dicht einer Frau in einem Raum an, die ein virtuoses Musikstück singt. Durch die Bewegung der Kamera schafft der Film ein Gefühl dafür, zu welcher klanglichen Intensität und auditivem Ausdruck der menschliche Körper und sein Stimmapparat fähig ist.

Nicht alle Filme konnten überzeugen. Neben einzelnen Ausreißern nach unten wie etwa der deutsche Film FINDING PHILIA oder der israelische Beitrag QUALITY TIME es zahlreiche Beiträge, die sich in Spielerei oder Beobachtung erschöpften und den Zuschauer ratlos und indifferent zurückließen ohne einen wirklichen filmischen Raum zu eröffnen. Die dokumentarischen Filme FIELD TRIP (Amit Dutta, Indien) und A PACKET OF SALT (Li Xiaofei, China) lösten vor allem Unverständnis beim Zuschauer aus. Der mit Animationen arbeitende Clip von Vicki Bennett WE ARE NOT AMUSED ging mit der spannenden Frage an den Start nach dem Anspruch, der musealen Bedeutung und Reproduzierbarkeit kulturgeschichtlicher Größen und Ideen – er amüsiert den Zuschauer aber vor allem, so dass mehr auch nicht zurück blieb. Insgesamt enttäuschten viele animierte und Trickformate – sieht man einmal ab von den Beiträgen TWO WEEKS – TWO MINUTES und SONNTAG NULL.

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