Im Rahmen der Schatten-und-Licht-Schau „Aesthetics of Shadow – Lighting Styles 1915-1950“ der diesjährigen Berlinale werden Filme aus vier Jahrzehnten und drei geographischen Schwerpunkten gezeigt: Europa, USA und Japan. Meine Retrospektive in diesem Jahr begann meisterlich mit Jules Dassins THE NAKED CITY. Ein klassischer Polizei- und Gangsterfilm – denkt man. Das ändert sich schnell.
Ein junges Photomodell wird von ihrer Haushälterin ermordet aufgefunden. Die New Yorker Mordkommission unter der Leitung von Detective Lieutenant Dan Muldoon (brillant, schlagfertig, witzig und mit umwerfend ironischer Mimik: Barry Fitzgerald) und seinem noch jungen Kollegen Jimmy Halloran (Don Taylor) nehmen die Ermittlungen in New York auf. Im Mittelpunkt steht jedoch die Stadt New York selbst, ihre Häuser, ihre Bewohner, ihre Gäste. Die Geschichte führt uns nur durch sie hindurch und ist quasi Mittel zum Zweck. Die Kamera begleitet die Detectives durch den Dreck der Straßen, das Dunkel der Großstadt, am Geschrei der Kinder vorbei und lässt uns als unbeobachtet Teilhabenden in das Leben der Menschen blicken. Letzteres geschieht vor allem durch die herausragenden Voice-Over-Kommentare Hellingers, der im Kopf jeder einzelnen Person zu sein scheint, deren Gedanken ausspricht und ihre Taten kommentiert.
Lange bevor der Film gedreht wurde, photographierte Weegee – eigentlich Arthur Fellig – in Manhattan Tatorte. Er verfolgte Krankenwagen und Polizeiautos und verkaufte die Bilder nach der Schnellentwicklung im Kofferraum seines Autos an Boulevardblätter – immer mit seinem Stempel „Credit Photo by Weegee The Famous“. 1945 veröffentlichte Weegee einen Photoband mit dem Titel „The Naked City“, woraufhin Produzent Marc Hellinger sofort die Rechte für den prägnanten Titel ergatterte. Dem Film lag also erst einmal keine Geschichte, sondern Photographien zugrunde. Die Ästhetik Weegees war künstlerische Grundlage für den Film. Das sieht man dem Film an:
Bildgestalter William Daniels – persönlicher Kameramann Greta Garbos – erhielt so 1949 den Oscar für die beste Schwarz-Weiß-Photographie in einem Film. Für THE NAKED CITY verwendete er eine intensive und ungewöhnlich starke Hell-Dunkel-Kontrastierung. Bevor der Film jedoch mit dem Spiel von Licht und Schatten beginnt, begleiten wir die Kamera aus dem Helicopter über New York und der Produzent Marc Hellinger erzählt uns über die Stadt und über ihre Menschen – den der Film im Folgenden ungeschminkt (eine Art amerikanischer Neorealismus) zeigen will.
Anfangs sehen wir eine Stadt im Dunkel, zwar beleuchtet durch Neonröhren, Straßenlaternen und Reklameboards, aber es dauert, bis man sich zurecht findet in diesem film noir. Ein Schnitt führt ins Schlafzimmer der Schönen – hell erleuchtet, warmes Licht, feine Schatten korrespondieren mit der sanften Musik. So geht das Spiel weiter. Der ganze Film schöpft seine Kraft und Wirkung aus der Architektur New Yorks und die Arbeit des Kameramannes, der diese in beeindruckend ausgeleuchtete Bilder zu setzen weiß.
P.S.: Sowohl Regisseur Dassin, als auch einer der beiden Drehbchautoren (die ebenfalls für einen Oscar nominiert waren) wurden unter McCarthy auf die Schwarze Liste gesetzt und flohen ins Exil.
Wiederholung des Films:
The Naked City, Sonntag, 16.02., 15 Uhr im Cinemaxx8 (online Tickets sind bereits ausverkauft)