#13: Was heißt schon filmisch?


Die beiden Filme, die hier unfreiwillig aufeinanderfolgend in meinem Programm standen, haben auch unfreiwillig eine interessante Kombination ergeben. Es handelt sich weder um Spielfilme, noch um Dokumentarfilme – es sind Zwitterwesen. Beide Werke erzählen aus dem Off eine Geschichte, lassen mehrere Charaktere sprechen, dazu werden unterschiedliche Materialien gezeigt (zumindest bei BELLEVILLE BABY): Photos, Found Footage, dokumentarisch und spielerisch Inszeniertes.

 

BELLEVILLE BABY (Mia Engberg), Panorama Copyright @ Berlinale
BELLEVILLE BABY (Mia Engberg), Panorama
Copyright @ Berlinale

 

Auch BELLEVILLE BABY beginnt mit Audiomaterial, bevor wir irgendetwas zu sehen bekommen. Mia und Vincent telefonieren, Vince, kürzlich nach 10 Jahren wegen Mordes aus dem Gefängnis entlassen, möchte sich von Mia – seiner früheren Partnerin – Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit erzählen lassen. Bebildert werden die Gespräche mit Photographien, Handykameraaufnahmen, usw. – es dauert eine Weile, bis man sich an das Tempo gewöhnt, an die Narration. Vince kommt aus einem ärmeren Banlieu und verdient sein Geld im Drogenmilieu, Mia passt da nicht so richtig rein, scheint aber in diese fremde Welt hineinschnuppern zu wollen, ist politisch aktiv und interessiert. Er ist der pragmatische, handfeste Macher, sie die idealistische, naive Beobachterin. Beide wissen das und ziehen sich damit auf, werfen sich Dinge vor, reizen einander. Der Film ist eine Mischung aus diesen beiden Charakteren (die selbst praktisch nie gezeigt werden, nur einmal wird Mia gefilmt), auch visuell. Man sieht aus Vinces Perspektive, wie er Leute beobachtet, wie er sie verfolgt, usw. Das wird montiert mit Reportageberichten über die Aufstände in den Banlieus 2005, mit Sarkozys Kärcher-Zitat und Homevideos der gemeinsamen Katze und Mias Tochter. Das Politische befindet sich hier im Privaten, genauso wie Vorurteile und Stereotype. Inhalt und Bilder korrespondieren harmonisch miteinander – trotzdessen, dass der Dialog außerhalb der Bilder stattfindet und auf diese Weise mit Film, Dialog, Drehbuch, Montage und bewegten Bildern gespielt wird. Vielleicht regt er deshalb so sehr dazu an, Gesagtes und Gezeigtes dermaßen stark zu hinterfragen.

 

 

Ganz anders – und leider auch viel langatmiger und so offensichtlich gewollt symbolisch, das alle Symbolkraft verloren ging –  war danach LE MÉTÉORE (Francois Delisle, Kanada 2013)

 

Dany Boudreault (LE MÉTÉORE) © Films 53/12
Dany Boudreault (LE MÉTÉORE)
© Films 53/12

 

Auch hier haben wir es mit einem Gefängnisinsassen zu tun. Pierre sitzt aber noch, er hat im Drogenrausch eine Frau angefahren, dabei getötet und Fahrerflucht begangen. Aus dem Off erzählt er, wie es ihm geht, was er tut und denkt über seine Vergangenheit und Zukunft nach. Weitere Personen kommen zu Wort: Pierres Mutter, ein Gefängniswärter, Suzanne (die Ex-Freundin), und ein Kleinkrimineller – alles kommentieren ihre derzeitige Situation in Verbindung mit Pierre.

Dazu gibt es kleinere Sequenzen mit einem Adler, der eine Erkennungsmarke an seinem Bein hat – also auch ein Gefangener. Daneben wurde ein gähnender, schlafender Koyote gefilmt, weil, so der Regisseur, dies die Langeweile und Müdigkeit des Gefängnisinsassen Pierre wiederspiegeln würde. Der ganze Film ist mit kirchlicher Orgelmusik unterlegt und fordert dadurch gerade noch weiter auf, die angeblich subtile Symbolträchtigkeit zu unterstützen. Nach dem Film sprach der Regisseur Delisle davon, dass wir uns alle in einer Art Gefängnis befänden und er deshalb das Gefängnis als Symbol verwendet habe.

Anders als bei BELLEVILLE BABY wurde der Filme hier klar inszeniert, es gibt auch  keine Materialkombination. Beeindruckt hat mich die Kameraarbeit, aber selbst hier wurden die Ausschnitte so künstlich gewollt symbolträchtig gewählt, dass dies sehr nervig wirkte – positiv könnte man jedoch anmerken, dass genau dies herrlich mit dem Text korrespondierte, des ebenfalls überbordend überladen war mit pseudo-Aphorismen.

 

In beiden Filmen wurden die Grenzen des Filmischen ausgelotet, durch ihre ganz eigenen experimentellen Arten. Dass ich beide Filme, die so ähnlich waren und doch unterschiedlicher nicht sein könnten, direkt hintereinander gesehen habe, war ein Glücksfall – so erlebt man auf Festivals immer wieder phantastische visuelle Intertextualitäten zwischen Filmen, die man sonst vielleicht gar nicht entdecken würde.

 

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