# 10 Oberhausen: Film ohne Film und die Transformation des Kinoraums


Performances, Programme ohne Filme, Kurzfilme, die in Kunstkontexten verortet sind, und Archivprogramme: Oberhausen breitete mehr aus als so manches Festivalprogramm. Jenseits des Wettbewerbs fand eine breite Reflektion über das Medium Film und seine aktuellen Positionen statt. Es wurden vor allem Fragen formuliert: nach seiner digitalen Materialität, seinen Wahrnehmungsräumen und seiner Kuratierbarkeit, nach seinen Ursprüngen und zukünftigen Daseinsformen, nach seinen Übergängen zur Kunst und anderen visuellen Formen, seinen veränderten Verwertungsketten und seinem langfristigen Leben durch das Archiv.

Zwar war im Kurzfilm im Gegensatz zum Lang- und narrativen Spielfilm das Reflexive, Experimentelle immer stärker angelegt. In den Themen, Programmen und Podien dieses Jahrgangs – ebenso wie der unmittelbaren Jahrgänge zuvor – lässt sich aber doch deutlich ablesen, wie sich die klassischen Produktions- und Verwertungsformen des Kinofilms und sein im 20. Jahrhundert dominanter Wahrnehmungsraum, das Kino selbst, weiter auflösen. Derartige Prozesse werden in der Regel an Universitäten, in Workshops oder Symposien bearbeitet. Es ist symptomatisch und ein Glücksfall, dass sie Oberhausen in diesem Jahr prägten. Dass zeitgleich die Schrift „Film und Kunst nach dem Kino“ von Festivalleiter Lars Henrik Gass erschien, in der er die schon vor einiger Zeit begonnenen Entwicklungen prägnant beschreibt, ist da kein Zufall. Auch kein Zufall ist, dass für diese 60. Ausgabe der Oberhausener Kurzfilmtage das bis 1962 als Festivalkino genutzte Kino im Europa-Haus, der Europa-Palast, reaktiviert und wieder bespielt wurde – nicht mit klassischen Filmformaten, sondern mit FILM WITHOUT FILM.

Der Weg 2014 zum Kino Europa-Palast  © Anna Pfitzenmaier

 

Das Thema des Festivals MEMORIES CAN’T WAIT – FILM WITHOUT FILM bespielte den Kinoraum mit visuellen Installationen, abstraktem und skulpturalem Film, Performances und anderen bildkünstlerischen Ausdrucksformen, die das klassische Kinoerlebnis überschritten, den Apparat Kino hinterfragten und mit der Abwesenheit von Bildern experimentierten. Dabei waren nicht nur Klassiker des Expanded Cinema der 60er Jahre ein regelrechter Publikumsmagnet. Alle Programme zum Thema waren heißbegehrt, eine Resonanz, die einerseits auf die Aktualität des Themas verweist. Andererseits ergibt sich aus den Formaten eine für den Kunstmarkt typische Verknappung und Ereignishaftigkeit in dem Sinne, dass ein solches Programm selten wiederholbar ist. Hier wurden die Ränder dessen verhandelt, was Film und Kino ist und was es sein kann. Bilder entstanden durch Overheadprojektionen, Installationen, Klangcollagen, durch Reduktionen oder wurden verweigert. Gerade durch die Abwesenheit der Bilder wurde ihre Migration weg vom Kino in andere Daseinsformen und ihre dortige massenhafte Präsenz thematisiert.

Die Performance MUSEUM OF LONELINESS PRESENTS LEE HARVEY OSWALD’S LAST DREAM von Chris Petit setzte das Publikum nach einer über Kopfhörer gegebenen Einführung zu Oswalds Verhaftung im Kino eine knappe Stunde lang einem Selbstbild – im Kinosaal sitzend – über Infrarotkamera aus. Wie lange beobachtet sich der Zuschauer selbst im Kinosessel sitzend, sich selbst beim Betrachten betrachtend, und wartet geduldig auf die angekündigte Verhaftung des Attentäters? Eine knappe Stunde lang bot sich dem Publikum außer dem invertierten Selbstbild auf der Leinwand und der kurzzeitig inszenierten – erwarteten – Verhaftung einer Person im Zuschauerraum nur eine Klangcollage, ein „memory loop“. Diese war gespickt mit zeithistorischen O-Tönen und Zitaten zur Massenkultur der US-Gesellschaft, darunter Werbejingles, Nachrichtenverlesen, Polizeifunk-Töne und Referenzen zu Spielfilmen und Popkultur. Auf den möglichen Film im Kopf wollte sich nicht jeder einlassen, ein nicht geringer Teil des Publikums reagierte auf diese Nichterfüllung von Erwarten mit Ablehnung und verließ das Kino. Konzeptionell war die Performance bestechend konsequent: Zum einen, da so der paranoide Diskurs des möglichen Doppelgängers des Attentäters umgesetzt wurde – jeder im Raum könnte Oswald sein. Zum anderen, da sie den Zuschauer dazu zwang, den Akt des Schauens im Kino wahrzunehmen, und das dauerhaft. Eine Demonstration des Grundprinzips von Kino, das nur über die Abgeschlossenheit von Zeit und Raum funktioniert.

Die Lecture-Performance PANORAMAS IN MOTION von Medienwissenschaftler Erkki Huhtamo nahm den Zuschauer mit auf eine Zeitreise zu einer seinerzeit ungemein populären Vorform des Films: das Panorama, das im 19. Jahrhundert mit bewegten Reise-, Sehnsuchts- und Motivbildern Sensationen und Illusionen kreierte und den Beginn der Verbreitung von Bewegtbildern bedeutete – auch damals schon mit interaktiven Elementen. Das Format seiner Präsentation imitierte eine Panorama-Vorstellung. Damit gelang Huhtamo, der zweifellos über ein umfassendes Wissen zum Thema verfügt, ein kurzweiliger Einblick, der informativ und selbst panoramaartig, aber nicht akademisch wirkte. Vor allem verdeutlichte er damit, wie wichtig der Blick zurück auf die Entwicklungslinien von Medien sein kann. Indem er die vielfältigen Verzweigungen, Abwege und offenen Prozesse vor Augen führt, die an einem Punkt zu einem Massenmedium führten, erinnert er an die Errichtung von Konventionen und Wahrnehmungsräumen, die nie alternativlos waren.

 

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